Die Schulferien sind in der zweiten Halbzeit, und viele Eltern und etliche Schüler sehnen bereits den Tag herbei, an dem die Schule wieder losgeht. Vier Wochen Ferien am Stück - gut und notwendig. Sechs Wochen - auch okay. Aber neun Wochen? Das ist zu lang. Was macht man neun Wochen lang mit Kindern, die keine Schule haben? Zwei Wochen Sommerurlaub nehmen sich die meisten berufstätigen Eltern und fahren mit ihren Kindern weg. Oft müssen, um der Kinder willen, Vater und Mutter sich gesondert freinehmen, damit immer jemand bei den Kindern ist. Omas, Tanten und Nachbarinnen werden mobilisiert. Jeder Tag ein logistischer Balanceakt. Es gibt Horte unterschiedlicher Güte, die allerdings alle Geld kosten. Wer mehr Geld hat, bucht Sprachferien, Sportcamps, Austauschprogramme für den Nachwuchs, denn die Kinder sollen in der langen Sommerzeit ja auch gefördert werden und möglichst nicht nur zu Hause herumhängen. Nur allzu oft läuft es freilich darauf hinaus, dass die Ferienkinder in Ermangelung besserer Alternativen einfach vor dem Fernseher geparkt werden. Verlorene Zeit.

Ursprünglich war einer der Gründe für die langen Sommerferien die Tatsache, dass die Bauernkinder zu Hause bei der Ernte gebraucht wurden. Später bemächtigte sich die Lehrergewerkschaft des Themas, und seither sind die Ferien unabdingbarer Bestandteil des Lehrerlebens. Wehe dem, der daran zu rühren wagt. Man brauche die Erholung, sagen die Lehrer, sie sei eine der wenigen Kompensationen für den stressigen Schulalltag. Es stimmt, der Alltag ist stressig. Die Lehrer und Lehrerinnen haben vielerlei Gründe zur Unzufriedenheit, aber das liegt eher an schlechten Arbeitsbedingungen und mangelhafter Ausbildung. An Freizeitmangel leiden sie nicht. Viele Lehrer haben auch eingesehen, dass ihre Schüler nicht neun Wochen lang gar nichts tun, sondern ein wenig in Übung bleiben sollten. Sie verteilten daher Ferienhefte mit Aufgaben. Jeden Tag soll damit gearbeitet werden. Klar, dass das nur funktioniert, wenn bildungsinteressierte Eltern bei diesem Programm mitspielen. Wo Eltern das nicht können oder wollen, geraten die Kinder gegenüber ihren Klassenkameraden ins Hintertreffen. Die Folge: die Kluft zwischen Bildungsbürgerkindern und Unterschichtkindern, ohnehin schon die Crux unseres Bildungssystems, vergrößert sich weiter.

Die ständige Klage der Lehrer geht dahin, dass sie zu viele Aufgaben erfüllen müssen, die eigentlich dem Elternhaus zustünden. Etwa den Kindern Manieren und Disziplin beibringen. Aber es gibt auch den umgekehrten Trend: dass vieles, das eigentlich in der Schule geschehen sollte, den Eltern aufgebürdet wird. Viele sind damit überfordert. Wie etwa eine berufstätige Alleinerzieherin, die wenig verdient, es schaffen soll, ihre Kinder während der ganzen langen Sommerferien sinnvoll zu beschäftigen und auch noch mit ihnen Mathematik zu üben, mag man sich gar nicht vorstellen. Warum nicht kürzere Ferien? Vielleicht mit einer Zusatzwoche im Herbst? Oder, wenn schon das nicht, schuleigene Ferienprogramme mit Förderung und Sport. Die Eltern würden's danken.(Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, Printausgabe, 17.8.2010)