"Ich müsste alt sein und ein Mann, dann hätte ich es einfacher", sagt die Schriftstellerin, Übersetzerin und Dozentin Jonila Godole.

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Wien - Jonila Godole hat eine bemerkenswerte Biografie: 18-jährig begann die albanische Autorin in den frühen Neunzigerjahren als Journalistin zu arbeiten. In wenigen Jahren machte sie eine steile Karriere, von der Jungjournalistin zur prominenten Redakteurin, deren kritische Interviews mit alten und neuen Polit-Kapazundern des ehemals kommunistischen Landes legendär wurden.

"Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort", erzählt Godole bei ihrem Besuch in Wien, wo sie ihr Theaterstück Der Sandmann vorstellte. "Anfang der Neunzigerjahre gab es in Albanien enormen Bedarf an jungen Journalisten. Denn die etablierten waren ideologisiert und dem System angepasst." Es hätte in dieser Übergangszeit, nach den ersten freien Wahlen 1991, ein kurzes Zeitfenster gegeben, in dem man "mit Idealismus" bewegen und gestalten konnte. "Ich habe in diesen Jahren die junge politische Szene noch ungeschminkt kennengelernt, spontan, offen. Wir haben revolutionären Journalismus gemacht."

Erst als 1997 die Regierung gewechselt wurde, "erkannten die Politiker, dass Journalismus ihnen gefährlich werden konnte." Godole konnte nicht mehr frei publizieren und warf, mit nur 22 Jahren bereits auf dem Höhepunkt des Erfolges, das Handtuch. Jetzt gibt sie als Professorin für Kommunikationswissenschaft ihre Erfahrungen an angehende Journalisten weiter, damals verließ sie enttäuscht das Land und ging zum Studieren nach Deutschland.

Heute lebt Jonila Godole mit ihrer kleinen Tochter wieder in Tirana. Sie spricht fließend Deutsch, ist eine ausgewiesene Expertin der deutschen Romantik, schreibt eigene literarische Texte und übersetzt ihre deutschsprachigen Lieblingsautoren ins Albanische.

"Herzensautor" Bernhard

"Niemand macht sich in Albanien Gedanken, deutsche Autoren zu übersetzen, man kennt sie gar nicht." Mehrere Titel ihres "Herzensautors" Thomas Bernhard sind dort erst durch Godoles Übersetzung zugänglich geworden, zuletzt Die Macht der Gewohnheit.

Bereits vor ihren Jahren in Deutschland war Godole als Autorin auch in literarischen Zeitschriften vertreten. "Ich habe ganz skandalöse Sachen geschrieben", sagt sie und lacht. Jonila Godole spricht schnell und nahezu akzentfrei. Sie strahlt entspannte Selbstsicherheit und mitreißende Unternehmungslust aus. Wenn sie ihre klaren, analytischen Gedanken über die Möglichkeiten des Journalismus und der Literatur in ihrer Heimat formuliert, merkt man den prägenden Einfluss der Frankfurter Schule.

Doch klingen in Godoles Erzählungen immer auch Enthusiasmus und Gestaltungswille durch. Sie vermittelt den Eindruck einer Aufbruchsstimmung: Die albanische Literaturszene stagniere einerseits. "Wie schon im Journalismus denke ich manchmal, ich müsste alt sein und ein Mann, dann hätte ich es einfacher." Doch so schwer es jungen Autoren gemacht werde, hätten sie andererseits umso größere Freiheiten. "Wir schreiben jetzt die Moderne", sagt Godole. "Ich glaube, in Albanien ist genau die richtige Zeit für Literatur", da es kaum moderne Texte gebe, könne man uneingeschränkt experimentieren.

Ihren ersten Roman Der Kuss des Führers hat Godole vor Jahren auf Deutsch geschrieben. Erschienen ist er dann aber doch auf Albanisch. Alle ihre Texte entstehen zweisprachig. Erst während des Schreibprozesses stelle sich heraus, in welcher Sprache der fertige Text zu Hause ist. Im Kuss des Führers verarbeitete Godole die Kindheit in der Diktatur.

Der Sandmann ist ihr erstes Theaterstück. Sie hat damit den Dramenwettbewerb Talking about Borders gewonnen, den der österreichische Regisseur Christian Papke seit 2005, jedes Jahr in einem anderen südosteuropäischen Land, veranstaltet. Derzeit läuft die Ausschreibung in Bulgarien. Die Siegerstücke werden jeweils übersetzt und an sämtliche deutschsprachigen Theater geschickt. Jonila Godoles Sandmann könnte also bald schon hierzulande auf dem Spielplan stehen. (Isabella Pohl, DER STANDARD - Printausgabe, 18. August 2010)