Mathias Brodkorb im Interview mit derStandard.at: "Wir müssen den zwölf Jahre alten Schülern Argumente dafür geben, warum die Menschenrechte richtig sind. Wenn Sie wirklich aus rationaler Erwägung Humanist sind, dann werden Sie kein Rechtsextremist - auch wenn Sie zehn Jahre lang arbeitslos sind."

 

 

 

 

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"Storch Heinar" als Benito Storcholini. Brodkorb: "Demokratie ist Sisyphusarbeit, völlig klar.Fundamentale Denkstrukturen bekommen Sie eben nicht einfach so weg - nicht mit "Storch Heinar" oder sonst einer Aktion. Da können sie nur immer schön am Ball bleiben und langfristig am Bildungssystem arbeiten."

 

 

 

 

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Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) und Unterstützer mit Plakaten bei der Sitzblockade gegen eine Demonstration von Rechtsextremisten am 1. Mai dieses Jahres in Berlin. Brodkorb: "Ich bin Mitglied des Landtages und damit Teil des gesetzgebenden Verfassungsorgans. Normalerweise erwarten wir von allen Bürgern, dass sie sich an die Gesetze halten. Deshalb tue ich mich schwer, die Bürger zum Rechtsbruch aufzufordern."

 

 

 

 

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Udo Pastörs, Fraktionsvorsitzender der NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, vor Beginn seines Prozesses wegen Volksverhetzung am Amtsgericht Saarbrücken. Brodkorb: "Was für eine normale Partei ein Skandal ist, ist für die NPD gar keiner. Wenn die  irgendetwas Beleidigendes von sich geben, rechnen sie ja damit, dass ein Teil ihrer Wähler applaudiert und sagt: Ja, endlich zeigt es diesen "faulen und dummen Bonzen" mal jemand."

 

 

 

 

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Wahlplakat der FPÖ vor der Wien-Wahl. Brodkorb, der selbst einige Jahre in Österreich gelebt hat: "Ich würde sagen, dass in Österreich Ausländerfeindlichkeit weiter verbreitet ist als in Deutschland. Abfällige Bemerkungen gegen "Jugos" gehörten damals jedenfalls zum "guten Ton" und waren auch akzeptiert."

 

 

 

 

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Brodkorb im derStandard.at-Interview: "Strategisch muss die SPD also ein Interesse daran haben, dass es eine demokratische Rechtspartei gibt, die der CDU ordentlich Stimmen wegnimmt - und sie ebenfalls gesundschrumpft - oder die SPD muss alternativ konsequent ein rot-rot-grünes Bündnis auch auf Bundesebene anstreben."

 

Foto: Julia Gröblacher

In der vergangenen Woche entschied das Landgericht Nürnberg, dass "Storch Heinar" auch weiterhin die in der rechten Szene in Deutschland verbreitete Bekleidungsmarke "Thor Steinar" persiflieren darf. Den SPD-Politiker Mathias Brodkorb, der die hinter dem Satire-Storch stehende Initiative "Endstation Rechts" leitet, freut es. Spart er sich doch nicht nur die Folgekosten für den Fall, dass der gegen ihn als Privatperson gerichtete Klage Recht gegeben worden wäre. Die aus dem Prozess resultierende Aufmerksamkeit für den laut Eigenbezeichnung "Größten Modedesigner aller Zeiten (GROEMAZ)" macht sich für "Storch Heinar" bezahlt. Inzwischen kann man sich die T-Shirts der Initiative gegen Rechts auch selber zusammenstellen.

DerStandard.at traf den Fraktionsvize der SPD im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns in einem Vorort von Rostock und sprach mit ihm über Sinn und Unsinn von Blockaden sowie über Schwächen der demokratischen Gesellschaft, die rechtsextremistische Parteien wie die NPD "konsequent ausnutzen". Brodkorb warnt vor dem "Auschwitz-Reflex" im gesellschaftlichen Umgang mit Rechtsextremismus. Wir fragten Brodkorb, der fünf Jahre seiner Schulzeit in Österreich verlebt hat nach Unterschieden im Umgang mit Rechtsextremismus zwischen Deutschland und Österreich. Eine rechtspopulistische Partei wie die FPÖ würde seiner Ansicht nach in Deutschland nicht einen solchen Erfolg haben. "Wahrscheinlich weil es in Deutschland ein öffentliches Klima gibt, das eine solche Partei in die Nähe von Nazis stellt", sagt Brodkorb.

derStandard.at: Sie haben nach Beginn des Prozesses in einem Interview gesagt, die hohe mediale Aufmerksamkeit für "Storch Heinar" störe Sie, weil Sie Ihr eigentliches Engagement gegen Rechtsextremismus überdecke.

Brodkorb: Ja, das stimmt schon. Aber dafür gibt es Gründe: Einerseits haben wir Sommerloch und irgendetwas müssen die verzweifelten Medien ja bringen. Insofern sind wir dem Richter fast dankbar dafür, dass er die Verhandlung ins Sommerloch gelegt hat. Zumal sich das Thema Rechtsextremismus medial sehr viel anschaulicher kommunizieren lässt, wenn man etwas hat, was aus dem normalen Rahmen heraus fällt. Insofern war es für uns nicht überraschend, dass so viel berichtet wurde. Aber es ist trotzdem unverhältnismäßig.

Wir gehen mit unserem Portal "Endstation Rechts" eigentlich ja ganz ähnlich vor wie die Medien mit Storch Heinar. Wir wollen einen aufgeklärten Diskurs organisieren. Der ist aber für viele so sterbenslangweilig, dass wir damit nur bedingt Aufmerksamkeit erzielen. Deshalb unterbreiten wir auch niedrigschwellige Angebote journalistischer oder politischer Art, wie jetzt mit "Storch Heinar".

Die Hoffnung besteht dann darin, dass ein signifikanter Anteil der Besucher auch die anspruchsvolleren politischen Debatten zur Kenntnis nimmt. Wir zielen dabei aber stärker ab auf Leute, die politisch ohnehin schon interessiert sind und stellen dabei die Frage: Gehen wir eigentlich richtig mit dem Thema Rechtsextremismus um? Sind zum Beispiel Blockaden von Nazi-Demonstrationen das richtige Instrument? Wenn man diese Frage stellt, spricht man gar nicht über Nazis, sondern über sich selbst, weil man sich fragt, ob das, was man tut, richtig ist.

derStandard.at: Und? Sind Blockaden das richtige Mittel?

Brodkorb: Ich habe selbst vor einigen Jahren an einer solchen Blockade teilgenommen. Es war natürlich ein großartiges Erlebnis, sich auf die Straße zu setzen und Nazis zu blockieren. Nur sehe ich das jetzt etwas anders: Ich bin Mitglied des Landtages und damit Teil des gesetzgebenden Verfassungsorgans. Normalerweise erwarten wir von allen Bürgern, dass sie sich an die Gesetze halten. Deshalb tue ich mich schwer, die Bürger zum Rechtsbruch aufzufordern.

Die Blockade hat auch einen ganz großen Nachteil: Sie fokussiert die Aufmerksamkeit auf 500 oder 1.000 Rechtsextremisten. Daran arbeiten sich alle emotional ab. Mich interessiert aber mehr, was die Mehrheitsgesellschaft macht, wenn die Nazis durch ihren Stadtteil marschieren. Ich würde lieber vor einer Demonstration von Nazis Diskussions- und Informationsveranstaltungen für die Leute organisieren, Flugblätter verteilen, Infostände einrichten und selber eine Gegendemonstration organisieren, anstatt sinnlose Debatten über "Blockade ja" oder "Blockade nein" zu führen. Das passiert aber hundertprozentig. Mit der Folge, dass sich die linken Gegenkräfte nur mit sich selber beschäftigen.

derStandard.at: Die Argumentation der linken Blockierer lautet, die Rechten seien die Verfassungsfeinde und stünden außerhalb des so genannten demokratischen Grundkonsenses. Deshalb sei es legitim, sie zu blockieren.

Brodkorb: Da gibt es dann aber einen Konflikt mit der Idee des demokratischen Rechtsstaates. In einem Rechtsstaat haben alle Menschen und Gruppen dieselben Grundrechte – es sei denn, sie bedrohen unmittelbar die verfassungsmäßige Ordnung. Darüber, ob es eine solche Bedrohungssituation gibt oder nicht, haben aber einzig und allein die zuständigen Organe, zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht, zu entscheiden und niemand sonst.

Zumal es natürlich auch unter linken Demonstranten Verfassungsfeinde gibt. Es ist schwierig, wenn eine einzelne Gruppe festlegen will, wer Verfassungsfeind ist, wenn in dieser Gruppe selbst Verfassungsfeinde sind. Das haut alles nicht hin.

derStandard.at: Glauben Sie mit dieser Plattform und mit Aktionen wie "Storch Heinar" jene zu überzeugen, die schon zuvor von Rechts erreicht und überzeugt worden sind?

Brodkorb: Um es klarzustellen: Wir sind kein Aussteigerprojekt. Das würde auch nicht funktionieren. Wir richten uns eher an politisch interessierte Demokraten. Manchmal kommen auch Schulklassen zu uns in den Landtag. Und natürlich sind da auch Nazis darunter. Ich hatte einmal eine 18-jährige Frau mit einem Notenschnitt von 1,2, die war die Klassenbeste. Mit ihr habe ich mich zwei Stunden unterhalten. Sie war klar strukturiert und aufgeweckt und auf der Suche nach Sinn in ihrem Leben. Aber durch bestimmte biographische Umstände und Lebensentscheidungen ist sie in das rechtsextreme Milieu reingerutscht.

Ich glaube schon, dass es mir gelungen ist, in diesen zwei Stunden ihr Weltbild deutlich zu erschüttern. Ich denke aber nicht, dass das viel bewirkt hat, weil sie nach diesen zwei Stunden wieder in ihre Kameradschaft oder ihr Milieu gegangen ist und sie dort wieder alle bestätigt haben in ihrer Weltsicht. Die Milieubindung und Freundschaften sind viel entscheidender bei der Ausbildung eines politischen Weltbildes.

derStandard.at: Resigniert man da nicht, wenn man sehen muss, dass diese Überzeugungsarbeit offenbar nichts bringt? Oder sagen Sie: Okay, das ist eben eine Sisyphusarbeit, das muss man so akzeptieren?

Brodkorb: Demokratie ist Sisyphusarbeit, völlig klar. Das ganze Leben ist Sisyphusarbeit. Wir machen den ganzen Tag etwas kaputt und bauen es wieder auf. Das nennen wir menschliche Gesellschaft. Fundamentale Denkstrukturen bekommen Sie eben nicht einfach so weg – nicht mit "Storch Heinar" oder sonst einer Aktion. Da können sie nur immer schön am Ball bleiben und langfristig am Bildungssystem arbeiten. Das ist letztlich eine Frage von Generationen.

derStandard.at: Zielt das auf konkrete didaktische Inhalte oder heißt das einfach: Mehr Geld in die Schulen?

Brodkorb: Nein, überhaupt nicht. Die bloße Forderung nach mehr Geld ist die fantasieloseste Möglichkeit sich mit Bildung auseinanderzusetzen. Das Problem der 18-jährigen Schülerin war ja nicht, dass in der Klasse zu viele Schüler saßen. Ihr Problem war, dass ihre Lehrer ihr keine Antwort auf die Frage geben konnten, warum sie denn eine Demokratin sein soll, die die Menschenrechte akzeptiert.

Ich habe den Eindruck, dass die Menschenrechte zu einer Art Ersatzreligion geworden sind, an die man glaubt, die man aber nicht begründet. Wir müssen den zwölf Jahre alten Schülern aber Argumente dafür geben, warum die Menschenrechte richtig sind. Wenn Sie wirklich aus rationaler Erwägung Humanist sind, dann werden Sie kein Rechtsextremist – auch wenn Sie zehn Jahre lang arbeitslos sind.

derStandard.at: In meiner Schulzeit wurde ich mit dem Dritten Reich und seinen Verbrechen stark konfrontiert. Wir sind ins KZ gefahren, in Ausstellungen und Lesungen zum Thema. Reicht das nicht?

Brodkorb: Damit wissen Sie zwar, was Sie nicht wollen, aber Sie wissen nicht genau, was Sie wollen. Klar ist: Würden wir uns nicht intensiv mit dem Nationalsozialismus und Auschwitz beschäftigen, müsste man fragen, was mit uns nicht stimmt. Trotzdem glaube ich, dass wir so dermaßen fixiert auf dieses Phänomen Auschwitz sind, dass wir unsere Identität nicht positiv, sondern negativ beschreiben. Dieser "Auschwitz-Reflex" führt auch dazu, Rechtsextremismus und Nationalsozialismus identisch zu machen. Rechtsextrem zu sein, heißt demnach immer, ein Anhänger Hitlers zu sein.

Sie können aber führende Rechtsextremisten in Deutschland finden, die gegen Hitler sind, weil sie keine Imperialisten sind und das alles für Unfug halten. Man kann die Demokratie auch gefährden mit Diktatur ohne Massenvernichtung und ohne Antisemitismus. Hinter der Hitler-Fixierung schlummert also das Problem, mögliche Gefahren, die wir haben, gar nicht mehr zu erkennen.

derStandard.at: Mecklenburg-Vorpommern wird als ein Land beschrieben, in dem rechte Gruppierungen inzwischen in die Mitte der Gesellschaft vordringen und dort Akzeptanz finden. Wie gefährlich ist dieser "braune Sumpf" im Nordosten Deutschlands?

Brodkorb: Ich halte Alarmismus nicht für angemessen, auch wenn es in einigen Regionen sicher sehr problematische Zustände gibt. Ein gewisser Anteil von Rechtsextremen unter der Bevölkerung ist in ganz Europa ein normaler Zustand – gewiss kein schöner, aber eben ein "gewöhnlicher". Deutschland hat vielmehr umgekehrt seit Jahrzehnten unter Ausnahmebedingungen gelebt, weil Rechtsextremisten nicht oder so gut wie nicht in den Parlamenten vertreten waren.

Man kann solche Entwicklungen ja auch als Problemanzeiger sehen. Dann erweist es sich eher als eine Schwäche der demokratischen Institutionen, in die die Rechtsextremen vorstoßen. Die könnten nicht so erfolgreich sein, wenn wir nicht selber Fehler machen würden oder objektive Probleme bestehen würden.

derStandard.at: Welche Fehler wurden gemacht, dass die NPD gerade in Mecklenburg-Vorpommern so erfolgreich werden und ins Parlament einziehen konnte?

Brodkorb: Auslöser dafür war letztendlich – so leid es mir tut – die Debatte um Hartz IV. Ich sehe nichts anderes, das einen schon vorhandenen Humus für rechtsextreme Bewegungen dermaßen vitalisiert und fruchtbar gemacht hat. In Mecklenburg-Vorpommern war außerdem noch die Linkspartei in der Regierung, was zur Folge hatte, dass Protestwähler sie nicht wählen konnten. Es blieb dann nur eine andere Protestpartei, nämlich die NPD, oder gar nicht zur Wahl zu gehen.

Der nächste Grund ist, dass rechte Kreise zunehmend in Vereine hineingehen, ehrenamtliche Arbeit leisten, also eine Art "Robin Hood von rechts" spielen. Zurück zu der jungen Rechtsextremistin: Die ist 18 Jahre alt und sucht wirklich nach Sinn in ihrem Leben. Die Nazis geben ihr eine Antwort, aber welche Antwort gibt ihr die moderne bürgerliche Gesellschaft? Wir diskutieren in der Politik über Steuersätze, das Wachstum des Bruttosozialprodukts, über Arbeitslosenquoten und so weiter.

Aber wir diskutieren nicht über den Sinn des Lebens, über Glück, über den Tod, also über all' diese fundamentalen Themen, die uns Menschen bewegen. Und das führt dazu, dass die NPD Zulauf erhält – denn die NPD-Leute machen genau das, die glauben noch an etwas. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, der zum Erstarken des Rechtsextremismus beiträgt, der aber wiederum auf eine Schwäche unserer Gesellschaft verweist: Nämlich den Menschen keine Orientierung mehr geben zu können.

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derStandard.at: Liegt diese Scheu der Politik, Sinnfragen zu diskutieren an der Erfahrung zweier ideologisch aufgeladener totalitärer Regime in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit? Oder gibt es einfach niemanden mehr, der Antworten geben kann?

Brodkorb: Ich denke, die moderne Welt ist im Rahmen eines globalisierten Kapitalismus – wo an die Stelle von Sinn der Konsum tritt – so weit sinnentleert, dass ich nicht glaube, dass wir in einer anderen Lage wären, wenn es diese totalitären Systeme nicht gegeben hätte. Jeder, der einmal kurz nachdenkt, spürt, dass wir dieses Problem haben. Warum hat denn Joachim Gauck so eine Sympathie von der Bevölkerung erfahren?

Weil er über etwas anderes gesprochen hat als über Wirtschaftswachstum, Steuersätze und die Höhe von Hartz IV. Der hat über die Fundamente unseres menschlichen Lebens gesprochen – wie tiefgründig auch immer. Aber allein, dass er es mit Erfolg getan hat, ist der beste Beleg dafür, dass wir da ein Problem haben. Und dieses Problem nutzt die NPD konsequent aus.

derStandard.at: Auf Ihrer Website stehen auch Videos aus den Landtagssitzungen mit Redebeiträgen von NPD-Abgeordneten, die wunderlich bis angsteinflößend wirken. Warum kommen die demokratischen Parteien denen dennoch nicht bei?

Brodkorb: Also, parlamentarisch sind die wirklich keine Herausforderung. In den Ausschüssen, in denen die eigentliche Arbeit läuft, werden so gut wie keine Anträge gestellt, keine Redebeiträge gehalten, keine Fragen gestellt, nichts. Manchmal tauchen die gar nicht auf. Nur wenn in den Landtagssitzungen die Kameras da sind, dreht die NPD ordentlich auf. Sie haben gut verstanden, wie moderne Medien funktionieren, nämlich dadurch, dass diese über Skandale berichten. Und die NPD sagt: Kein Problem, die liefern wir euch.

Was für eine normale Partei ein Skandal ist, ist für die NPD also gar keiner. Wenn die sich hinstellen und irgendetwas Beleidigendes von sich geben, rechnen sie ja damit, dass ein Teil ihrer Wähler applaudiert. Die Journalisten haben eine gute Absicht und wollen eine Skandalgeschichte machen, um der NPD zu schaden. Sie verstehen aber häufig nicht, dass die Wähler der NPD ganz anders reagieren. Sie sind Populismus-affin und sagen: Ja, endlich zeigt es diesen "faulen und dummen Bonzen" mal jemand.

derStandard.at: Der NPD-Fraktionsvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs, wurde im Juni wegen volksverhetzender Äußerungen verurteilt. Glauben Sie, dass ihm dieses Urteil geschadet hat oder führt es eher dazu, dass seine Anhänger erst recht hinter ihm stehen?

Brodkorb: Es ist klar, dass er für die eigenen Leute ein Held ist, wenn er verurteilt wird. Das ist aber nicht so wichtig. Ich habe vielmehr Zweifel, dass diese Volksverhetzungsparagrafen uns wirklich nützen. Denn die sind so unpräzise formuliert, dass sie einen großen Interpretationsspielraum bieten. Es gab in der Vergangenheit vermehrt Urteile wegen Volksverhetzung gegen Personen, die dann durch alle Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht gegangen sind und gewonnen haben. Etwas Verheerenderes kann es kaum geben: Der Rechtsextremist muss sein Recht durch alle Instanzen erkämpfen und am Ende kommt ein Freifahrtschein vom höchsten deutschen Gericht heraus.

derStandard.at: Liegt das dann nicht eher an den Richtern, die überziehen in ihrer Beurteilung rechter Straftaten? Denn die Rechtsgrundlage, nach der das Verfassungsgericht urteilt und anders urteilt ist ja die gleiche.

Brodkorb: Offenbar wird das am rechten Rand zulässige Denken sehr viel enger und rigider beurteilt, als das am linken Rand zulässige Denken – auch wieder aufgrund unserer Vergangenheit. Wir haben eine Art Linksverschiebung in der Republik, sonst wäre Frau Merkel nicht Bundeskanzlerin. Mit ihrer politischen Meinung wäre sie in den sechziger oder siebziger Jahren in der CDU nicht einmal auf der kommunalen Ebene etwas geworden. Die CDU ist jetzt noch immer nicht links, aber ganz deutlich in die "Mitte" gerückt. Das scheint mir ein gesamtgesellschaftliches Klima zu sein – und wirkt sich offenbar auch bei den Gerichten aus.

derStandard.at: Aber für Sie als SPD-Politiker kann eine Linksverschiebung der Gesellschaft ja nichts Schlechtes sein?

Brodkorb: Das ist eine böse Frage. Machtpolitisch gesehen finde ich es nicht gut, dass die CDU nach links gewandert ist. Die haben ja in der Familienpolitik 1A SPD-Politik gemacht. Das Elterngeld haben wir damals in der Koalition durchgesetzt - aber Ursula van der Leyen hat es umgesetzt. Das hat der SPD schon ein Stück weit das Rückgrat gebrochen. Denn warum sollte noch jemand SPD wählen, wenn die CDU inzwischen dieselbe Familienpolitik macht? Gesellschaftspolitisch allerdings wäre ich ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn ich sage würde, mir wäre eine Rechtsverschiebung der Gesellschaft lieber.

derStandard.at: Sie haben einen österreichischen Vater und haben im Alter von neun bis 14 Jahren in Harmannsdorf in der Nähe von Wien die Schule besucht. Was ist Ihnen dort aufgefallen im Umgang mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit?

Brodkorb: "Piefke" habe ich damals sehr oft gehört und wurde auch mitunter als Nazi bezeichnet, was schon etwas merkwürdig ist: Als Zehnjähriger von Gleichaltrigen als Nazi bezeichnet zu werden, und zwar allein, weil ich Deutscher war. Darin drückt sich wohl so etwas wie der Versuch einer Gesellschaft aus, die eigene nationalsozialistische Vergangenheit auf einen anderen abzuschieben. Zum Beispiel ist mir im Geschichtsunterricht der Mythos begegnet, dass die Österreicher, als der "Führer" auf dem Heldenplatz einmarschierte, gar nicht freiwillig gejubelt hätten. Angeblich hätten SS- und SA-Schergen allen Wienern Pistolen in den Rücken gehalten.

Ich würde sagen, dass in Österreich Ausländerfeindlichkeit weiter verbreitet ist als in Deutschland. Abfällige Bemerkungen gegen "Jugos" gehörten damals jedenfalls zum "guten Ton" und waren auch akzeptiert. Und es muss ja auch einen Grund haben, warum die FPÖ unter Haider so erfolgreich sein konnte. Dennoch hat es nie eine solche rechtsextremistische Komponente angenommen, wie das bei uns mit der NPD der Fall ist.

Nach meiner Empfindung war Ausländerfeindlichkeit zwar weiter verbreitet als in Deutschland, aber dafür war das, was in Österreich verbreitet wurde, harmloser als ich es hier an manchen Stellen erlebe. Zum Beispiel gab es in dem Ort, in dem ich lebte, eine Kameradschaft und die kannte auch jeder, aber sie war letztlich unbedeutend. In manchen Gegenden Mecklenburg-Vorpommerns hingegen sieht das ganz anders aus.

derStandard.at: Würde denn so eine Partei wie die FPÖ in Deutschland funktionieren?

Brodkorb: In Deutschland herrscht eine riesige Diskrepanz zwischen dem Denken der Menschen und ihrem Handeln. Laut Umfrage wären hier 15 bis 20 Prozent der Leute bereit, eine solche Partei zu wählen. Aber dennoch kreuzen die Menschen so eine Partei nicht an. Wahrscheinlich weil es in Deutschland ein öffentliches Klima gibt, das eine solche Partei in die Nähe von Nazis stellt. Es gibt da eine Art Selbstkontrolle, selbst bei unseren Rechtsauslegern in der Bevölkerung. Anders kann ich mir das nicht erklären. Denn wenn die CDU objektiv nach links rückt und die NPD weiter ganz rechts außen steht, ist da eine Lücke im politischen Spektrum, die in vielen anderen europäischen Ländern gefüllt worden ist, nur bei uns nicht.

derStandard.at: Auch wenn aufgrund gesellschaftlicher Konventionen kaum jemand rechtspopulistische Parteien wählt, sind ja die fremdenfeindlichen Gedanken der Menschen dennoch da. Wo gehen die denn hin?

Brodkorb: Ich finde, die Abwesenheit einer solchen Partei wie der FPÖ in Deutschland trägt dazu bei, dass es die NPD leichter hat, parlamentarische Erfolge zu erzielen. Denn der eine Teil dieser Leute geht dann tatsächlich zur NPD und der andere verteilt sich eben auf die etablierten Parteien. Und machtpolitisch gesehen kann die SPD kein Interesse daran haben, dass es eine solche Partei nicht gibt.

Die SPD hat sich ja schon einmal zerlegt und die Grünen hervorgebracht. Dank Hartz IV hat sich die SPD ein zweites Mal zerlegt und der WASG und damit der Linken zum Durchbruch verholfen. Damit hat sich die SPD so existenziell beschädigt, dass sie derzeit selbst unter besten Vorzeichen kaum noch über 35 Prozent der Stimmen erreichen kann. Auf der rechten Seite haben wir aber immer noch eine große Volkspartei mit strukturellem Kanzleranspruch.

Strategisch muss die SPD also ein Interesse daran haben, dass es eine demokratische Rechtspartei gibt, die der CDU ordentlich Stimmen wegnimmt – und sie ebenfalls gesundschrumpft – oder die SPD muss alternativ konsequent ein rot-rot-grünes Bündnis auch auf Bundesebene anstreben. Lehnt die SPD beide Möglichkeiten ab, wird sie machtpolitisch auf absehbare Zeit am Katzentisch sitzen. Ich komme ja selber aus der ehemaligen PDS und daraus können Sie schlussfolgern, dass ich ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene für eine sehr charmante Option hielte. (Andreas Bachmann, derStandard.at, 19.8.2010)