Die Affäre um die Facebook-Fotos der israelischen Exsoldatin Eden Abergil, auf denen sie grinsend mit gefesselten palästinensischen Gefangenen posiert, hat zwei moralisch-politische Facetten:

Einerseits bietet sie ein erschreckendes Bild von der Stimmung in der israelischen Armee und der Einstellung vieler Soldaten und Soldatinnen zu den Palästinensern. Hier geht es - anders als im US-Gefängnis Abu Ghraib - nicht um Folter, sondern um die Missachtung der Menschenwürde, die nach 43 Jahren Besatzung in weiten Teilen der israelischen Gesellschaft zur Norm geworden ist. Dass auch viele Palästinenser - und andere Araber - in einem Israeli unter keinen Umständen den Menschen erkennen wollen, entschuldigt den Verfall der Sitten in einem Land mit so hohen ethischen Standards wie Israel nicht.

Der andere Aspekt geht über den Nahostkonflikt hinaus: Wie kann es sein, dass minderbemittelte Militärangehörige - die Israelin Abergil ebenso wie die Amerikanerin Lynndie England einst in Abu Ghraib - sich fröhlich bei fragwürdigen Amtshandlungen fotografieren lassen können und keinerlei Hemmungen haben, die Bilder der ganzen Welt zu zeigen? Während einfachen Bürgern und vor allem Jugendlichen täglich gepredigt wird, sie sollen im Umgang mit sozialen Internet-Medien doch bitte Disziplin und Diskretion walten lassen und nur ja nichts von sich preisgeben, was ihnen später schaden könnte, haben es staatliche Stellen in aller Welt verabsäumt, verbindliche Regeln für private Bilder aufzustellen und diese konsequent durchzusetzen.

Auch die Wikileaks-Affäre war in erster Linie Ausdruck einer erschreckenden Disziplinlosigkeit in den US-Streitkräften. Die 90.000 veröffentlichten Dokumente haben der Welt nichts über den Afghanistankrieg erzählt, was man nicht schon vorher wusste - außer der Erkenntnis, dass die größte Militärmacht der Welt nicht in der Lage ist, vertrauliche Dokumente vor dem Zugriff einzelner Renegaten zu schützen. Hier geht es nicht um eine Verteidigung der Zensur: Wikileaks hatte jedes Recht, die erhaltenen Protokolle zu veröffentlichen. Aber diese hätten nie in seine Hände fallen dürfen.

Denn solche Sorglosigkeit darf nicht etwa mit Offenheit verwechselt werden. Militär- oder Polizeikommandanten, die sich nicht darum scheren, was ihre Untergebenen so alles knipsen, versenden oder tratschen, kümmern sich meist auch nicht um die Einhaltung anderer Vorschriften - etwa den korrekten und respektvollen Umgang mit Gefangenen. Und eine Armee, die bei der eigenen Datensicherheit versagt, wird auch andere gravierende - und für Zivilisten oft tödliche - Fehler begehen. Wenn in Österreich Rekruten "Heil Hitler"-Videos auf Youtube stellen, ist der Schaden zum Glück auf die Reputation des Bundesheers und des Landes beschränkt.

Die Bilder der Demütigung, die vom Fall Abergil ausgehen, drohen hingegen das israelisch-palästinensische Verhältnis weiter zu vergiften, selbst wenn keine Übergriffe darauf zu sehen sind. Das ist das politische Gegenstück zum jugendlichen Party-Schnappschuss auf Facebook, der einem Arbeitgeber in die Hände fällt - aber mit viel schlimmeren Folgen.

Auch Staaten müssen sich endlich der Gefahren, die in der Handy- und Facebook-Ära von schnell gemachten Fotos ausgehen, bewusst werden. Die Debatte, wie man sie eindämmen kann, hat gerade erst begonnen. (Eric Frey/DER STANDARD, Printausgabe, 19.8.2010)