Neben einem Mann, der einer Schar gackernd zurückweichender Hühner mehrere Fäuste voll blutige Hühnerherzen vor die Beine warf, hob ein halbwüchsiger Junge vom Gepäckträger seines Fahrrades einen schweren, in Jute eingeschlagenen Eisblock, zerhackte ihn und legte die Eisbrocken in einen mit roten Rosenblättern gefüllten Korb. Die Eisstücke sanken auf den Boden und wurden von den Rosenblütenblättern zugedeckt. Ein nackter schwarzer Kinderfuß wühlte in einem Haufen weißer Eierschalen, auf dem sich massenhaft Fliegen tummelten.


Es handelt sich hier um die stark gekürzte Fassung des Textes
"Julius Meinl oder Leichenschleifen in Benares",
der am 30. April mit anderen Prosaarbeiten Winklers im Band "Leichnam, seine Familie belauernd" (€ 7,20, edition suhrkamp) erscheint.

Ein Trommler zündete ein paar zerknüllte Zeitungsblätter an und hielt seine mit hauchdünnem Ziegenleder bespannte Trommel über dem Feuer drei-, viermal im Kreis und fügte sich, weitertrommelnd, vor einem ein Bündel nach Sandelholz duftender Räucherstäbchen haltenden, schwer betrunkenen, immer wieder Ram Nam Satya hai! rufenden Mann in den Leichenzug. Ein glatzköpfiger alter Mann, der seinen nackten Unterleib in eine zerschlissene Decke eingehüllt hatte, aus der Baumwollflusen herausschauten, hockte auf ein paar übereinander geschichteten, halbverkohlten Holzprügeln und schnitt mit einer Rasierklinge vorsichtig die Haare um seine Brustwarzen ab.

Unter den nackten, schwarzen, faltigen Fußstumpen eines in einem Rollstuhl sitzenden und aufs elektrische Krematorium zufahrenden Leprakranken, der mit seinen beiden fingerlosen Händen einen Tonbecher Tee an seine Lippen drückte, lagen ein paar Holzkohleprügel. An einem Strick, der an seinen zusammengebundenen Beinen befestigt war, wurde ein durch einen Kopfschuß hingerichteter Kindsmörder von einem uniformierten, schnauzbärtigen Mann über die Harischandra Road hinunter am Holzverschlag vorbeigeschleift, in dem ein pockennarbiger, einäugiger, Leichentücher und Sandelholzpulver verkaufender, einen schwarzen Haarknödel auf seinem Hinterkopf tragender Transvestit hockte.

An der Wand seines Holzverschlages klebte ein Plakat, auf dem für Vollkornkekse und Vollkornbrot geworben wurde. Kopf und Hüften des Mörders waren mit einem Tuch umschlungen, die übrigen Körperteile waren nackt. Sein Oberkörper war aufgeschnitten und nur notdürftig, mit wenigen Stichen, zusammengenäht worden. Zwischen den Lücken der Chirurgennähte schimmerten die grauen Eingeweide heraus. Während er am Strick, der an seinen Fußknöcheln befestigt worden war, am ewig brennenden Feuer vorbei und am elektrischen Krematorium entlang über die Steinstiege der Harishchandra Ghat hinuntergezogen wurde, schlug sein Hinterkopf immer wieder hart auf die steinernen Stiegenkanten. Blut sickerte aus der Schußwunde am Kopf, aus Mund und Nasenlöchern.

Foto: Archiv
Ein Junge, der einen mit getrockneten Kuhfladen gefüllten Jutesack auf den Gepäckträger seines Fahrrades gebunden hatte, blieb vor dem Mörder stehen, faltete seine Hände, sprach laut auf Hindi ein Gebet und klingelte mehrere Male mit der Fahrradglocke. Auf der schwarzen Gummikotlasche seines Fahrrads klebte ein Farbbild mit einem Frauenkopf, auf der Lenkgabel stand in goldfarbenen Lettern: Ambassador. Ein Knabe, der sich, einen Hindi-Schlager singend, einen violetten Papierdrachen auf seinen Rücken gebunden hatte, versteckte seine beiden Arme im löchrigen Pullover, winkte lachend mit den leeren, kohlebeschmutzten Pulloverärmeln dem mit dem blutverlierenden Schädel auf die Steinstufen aufschlagenden Kindsmörder zu, der von dem uniformierten Mann laut fluchend am Strick über die Stiege hinunter zum Einäscherungsplatz gezogen wurde. Der Hinterkopf und die Handrücken des toten Delinquenten schleiften im Staub, an den Kniescheiben hatte er blutige Schnittwunden, seine buschigschwarzen Achselhaare waren eingestaubt. (...)

Der uniformierte, schnauzbärtige Mann zog den Leichnam an einem Knaben vorbei, der mit einem weißen, in seinen Armen strampelnden Zicklein vorsichtig über die Steinstiege hinunterging und seinen Mund am Fell des meckernden Tieres abputzte. Er zog den Leichnam auf die drei beim Einäscherungsplatz einander schreiend zur Seite drängenden, mit rußgeschwärztem Punjabidress bekleideten Mädchen zu, die um einen Kuhfladen rauften, den mit hocherhobenem Schwanz ein Kalb aus dem Schließmuskel drückte, und dem Kalb den warmen, rauchenden Mist vom Hintern rissen, bevor er zu Boden fallen konnte. (...)

Sechs Reiher zogen über den Einäscherungsplatz auf die Flussmitte zu, wo ein Geier, auf einem schwimmenden, aufgeblähten, grauen Körper eines toten, mit dem Gesicht im Wasser liegenden Kindes stehend, mit seinem Hakenschnabel ein Stück Fleisch aus dem verwesenden Leichnam riss, wobei sich eine Sehne um seinen Kopf wickelte. Der Geier verdrehte seinen Hals und schüttelte seinen Kopf, ehe er sich von der Sehne befreien und seinen Schnabel wieder in den weichen Kindeskörper hineinhacken konnte. Aus dem Maul eines kauend am Flussufer hinter dem brennenden Scheiterhaufen stehenden Stiers, der einen Strick um den Hals trug, an dem ein Menschenknochen angebunden war, hingen ein paar Goldfäden vom ausgefransten Kunststoffleichentuch.

Der brennende Scheiterhaufen knisterte so laut, dass man die Flüche des uniformierten Mannes, der den toten Mörder über die kreuz und quer herumliegenden Sprießel einer zerstörten Bambustragbahre, zwischen verschmutzten goldfarbenen Leichentuchteilen über die Scherben brauner Tontöpfe, über schwarze Haarbüschel und Lottoscheine im Staub den Einäscherungsplatz entlang zum Flussufer hinunterzog, die Schreie der Papageien, das Quaken der Frösche, das Jaulen nach Menschenfleisch und Knochen suchender Hunde und das Schnattern mehrerer am Ufer des Ganges zwischen schwarzen Holzkohlestücken und orangefarbenen Blumengirlanden durchschwimmender Enten kaum hören konnte. Aus dem alten, eingebeulten Trichter eines Lautsprechers auf einem hin und her schwankenden Boot hörte man immer wieder krachend und knisternd - im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh waren Regionalwahlen - eine psalmodierende Frauenstimme Sonja! Sonja! singen, Sonja Gandhi! Sonja! Sonja! (...)

Neben einer ihren nackten Knaben waschenden, einen gelben Sari tragenden Frau übergab ein bloßfüßiger, nur mit einem Lendenschurz bekleideter, halbwüchsiger Junge ein Bündel brennender Sandelholzräucherstäbchen einem Mann, der vor dem Leichnam des kleinen, von Kopf bis Fuß in ein dünnes, weißes Baumwolltuch eingewickelten Kindes hockte. Der Mann öffnete auf der Brust des Kindes den Knoten des Baumwolltuches und entblößte das Gesicht des ermordeten Mädchens. Am rechten Nasenflügel und am rechten Ohrläppchen trug das tote Mädchen, das weit aufgerissene Augen hatte, einen vergoldeten Ring.

Der weinende und laut schluchzende Vater, der mit seinem Handrücken einen im seichten Flussufer liegenden toten Hahn zur Seite geschoben hatte, träufelte heiliges Gangeswasser in die Nasenlöcher, in die Ohren und in den Mund seiner kleinen Tochter. Ein in den Armen eines Mannes strampelnder, kleinwüchsiger Krüppel, der ebenfalls mit seiner Handschale Gangeswasser aufgefasst hatte, grinste ins Objektiv einer Kamera und tröpfelte, nachdem der Fotoapparat geblitzt hatte, lachend das heilige Wasser auf das Gesicht des toten Mädchens. Ein Blinder, der an seinem Blindenstock - einem Bambusstab - eine Fahrradklingel angebracht hatte, irrte, klingelnd und immer wieder Ram Nam! rufend, mit einem neugeborenen, meckernden Zicklein, an dessen Bauch noch die getrocknete Nableschnur hing, zwischen dem toten, auf dem Boden liegenden Mädchen und dem mit ausgestreckten Händen auf dem mit den Papierfetzen der Kindertotenscheine bedeckten heißen Sand liegenden Kindsmörder umher.

Der Kopf des Zickleins war schwarz-weiß gefleckt, die weißen Ohren mit Hunderten kleiner Punkte schwarz besprenkelt. Auf den Totenscheinen standen verschiedene Unterschriften sowie die Geburts-und Sterbedaten der Kinder. Ununterbrochen hörte man aus dem Trichter des an einem Flussufer hin und her schwankenden Boot befestigten Lautsprechers krachend und knisternd die weibliche Stimme Sonja! Sonja! singen, Sonja Gandhi! Sonja! Sonja! Ein Junge, der eine Krone aus Pfauenfedern auf seinem Kopf trug, schlug ein Rad, ein zweites und drittes, nahm eine herumliegende, an der Spitze angekohlte Bambusstange, ließ sie von einem anderen, einen brennenden Holzspan haltenden Knaben anzünden und tanzte singend mit der brennenden und rauchenden, die Krone aus Pfauenfedern auf seinem Haupt umnebelnden Bambusstange vor dem Mörder im Kreis.

Zwei junge Männer banden den Kinderleichnam mit einem Hanfstrick auf einen schweren, flachen Stein, verknoteten den Strick auf der Brust des toten Mädchens, hoben den Leichnam aufs Boot, ließen sich an den bauchtief im Fluss stehenden Wasserbüffeln vorbei in den Ganges hinausrudern und kreuzten die Bahn eines Bootes, in dem mehrere Jungen saßen, die Papierdrachen aufsammelten, die im Ganges gelandet waren. Raben saßen auf Rücken und Köpfen der Wasserbüffel und fraßen Ungeziefer aus ihrer Haut. Ein Rabe krallte sich am Ohr eines Wasserbüffels fest und pickte mit seinem langen, an der Spitze leicht gebogenen Schnabel in die Ohrmuschel hinein. Während das Boot in der Flussmitte mehrere Male kreiste, beugten sich die beiden Verwandten des toten Kindes über den Bootsrand und beträufelten mit dem heiligen Gangeswasser ihre eigenen Häupter.

Einer der beiden neben dem Kinderleichnam sitzenden Männer schwenkte über dem Kopf des ermordeten Mädchens das Bündel stark qualmender, bis ans Flussufer duftender Sandelholzräucherstäbchen. Nachdem das Boot zurückgekehrt war, schrieb derjenige Bootsinsasse, der den Kinderleichnam auf all die anderen auf dem Grunde des Flusses liegenden Kinderleichen und Kinderskelette gekippt hatte, ein Wort auf Hindi in den feuchten Sand, legte zwei Münzen aufs Geschriebene, gab dem Ruderer fünfzig Rupien, zerriß den Totenschein, auf dem Geburts- und Sterbedatum des Mädchens standen, und streute die Papierschnitzel in den Ganges hinein. Kinder, die mit einem Totenboot in die Flussmitte hinausgerudert waren und verloren gegangene Papierdrachen auf der Wasseroberfläche aufsammelten, wurden gerufen und ruderten zurück ans Flussufer.


Josef Winkler lebt in Klagenfurt.
Zuletzt erschien von ihm die Novelle "natura morta".

Der Leichnam des Mörders wurde vom uniformierten, schnauzbärtigen Mann ins seichte Flusswasser hineingezogen, ans Totenboot gebunden, in Schlepptau genommen und an den Bauernjungen vorbeigerudert, die hüfttief im Wasser standen und mit Bürsten die schütter behaarten Rücken der im Ganges stehenden, schäumenden Speichel absondernden schwarzen Wasserbüffel auf der Wasseroberfläche des bleifarbenen Flusses schrubbten. Ein halbwüchsiger Junge beschmierte mit gelbem, dickflüssigem Sesamöl das Gesicht, die gebogenen, langen Hörner und den Rücken eines bereits gewaschenen Wasserbüffels.

Der hingerichtete Mörder wurde in die Flussmitte hinausgerudert und mit einem schweren Stein versenkt. Sein Leichnam fiel auf dem Grunde des Flusses auf die übereinander liegenden, zusammenbrechenden, zusammenkrachenden Kinderskelette und die aufgeblähten Kinderleichen und verkeilte sich zwischen den kreuz und quer, waagrecht und senkrecht voneinander wegstehenden Spießen der Kinderknochen. Ein halbwüchsiger Junge schwamm mit einem Tuch, in das orangefarbene Tagetesblüten eingewickelt waren, in die Flussmitte hinaus, öffnete den Stoff und übergab die Blumenblüten an der Stelle dem Ganges, wo tief unter seinen strampelnden Beinen am Grunde des Flusses, die toten Kinder lagen. (...) (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.4.2003)