Martina Wurzer vor dem Haus in der Burggasse, das mehrer Tage besetzt wurde. Sie fordert "ein Gesetz, das die Inanspruchnahme von Immobilien ermöglicht, die über ein Jahr leer stehen."

Foto: derStandard.at/Winkler-Hermaden

"80.000 Wohnungen stehen in Wien leer, das wissen wir von der Statistik Austria. Ein ganzer Bezirk, kann man sagen. Das ist unfassbar."

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Als Vertreterin der autonomen Szene will sich Martina Wurzer nicht bezeichnen. "Ich glaub', da würden sie lachen, wenn sie das hören", sagt die Kandidatin der Grünen für die Wien-Wahl. Aber politisch einsetzen will sich die 30-jährige gebürtige Tirolerin, die als ihre politischen Schwerpunkte Anti-Faschismus-Arbeit und Frauenpolitik nennt, für diese Gruppe: für Hausbesetzer, Leute, die am Wagenplatz leben, oder jene, die sich gegen die "widerliche Säuberung" von öffentlichen Plätzen, etwa den Karlsplatz, stellen.

Wurzers politische Heimat ist die Leopoldstadt und sie ist Mitarbeiterin des Nationalratsabgeordneten Albert Steinhauser. Über das Listenwahlsystem der Wiener Grünen wurde sie überraschend auf den 5. Platz gereiht und wird nach der Wahl im Herbst in den Wiener Gemeinderat einziehen. Der Wahlkampf ist gerade angelaufen. Wurzer freut sich schon auf diverse Straßenaktionen, wo sie mit den Wählern in Kontakt kommt: "Da steh ich drauf."

Über ihre eigenen Erfahrungen bei Hausbesetzungen sagt sie: "Ich war noch nie die erste, die hineingegangen ist. Aber ja, ich habe schon an Partys und Workshops teilgenommen, die in besetzten Häusern stattgefunden haben."

Hausbesetzungen im 7. und 9. Bezirk

Vor einer Woche wurde ein Haus in der Burggasse im 7. Bezirk besetzt. Bis Donnerstagabend war eines im 9. Bezirk besetzt. Mittlerweile sind beide wieder geräumt. Wurzer unterstützt die Aktionen, fordert sie doch, dass man - ähnlich wie in Holland - leer stehenden Wohnraum zur Nutzung frei gibt. "Da geht es um Wohnungen, Brachflächen und Grundstücke", erklärt sie. "80.000 Wohnungen stehen in Wien leer, das wissen wir von der Statistik Austria. Ein ganzer Bezirk, kann man sagen. Das ist unfassbar." Konkret fordert sie daher "ein Gesetz, das die Inanspruchnahme von Immobilien ermöglicht, die über ein Jahr leer stehen."

"Da gibt's einen riesen Aufstand"

Hausbesetzungen haben genauso wie das Wagenleben Platz in dieser Stadt, davon ist Wurzer überzeugt. "Darum kümmert sich die SPÖ sehr wenig, die anderen Parteien sowieso nicht. Unser Ansatz ist, dass man auch für die Wagenplätze, die es seit 2006 gibt, eine Legalisierung schaffen muss." In Berlin gebe es mehr als 10 Wagenplätze - ohne Probleme. "Und in Wien? Da gibt's einen riesen Aufstand." Wurzer ist der Meinung, dass man auch Menschen, die ein bisschen von der Norm abweichen, einen Platz geben muss.

Sie selbst bezeichnet sich auch als jemanden, der nicht immer der Norm entspricht. In der Schulzeit in Tirol habe sie sich als "Systemfehler" gefühlt. Nach der Matura hat sie in Wien zu studieren begonnen und sich dann bei der Grünalternativen Jugend aufgehoben gefühlt.

Oft sei es für sie zwar ein innerer Konflikt, sich im Parteiensystem unterzuordnen, aber sie sieht es als gute Möglichkeit an, um bestimmte Sichtweisen "in den Diskurs einbringen" zu können: "Dafür ist die Parteienlandschaft tauglich."

"Rot-Grün ist die beste Variante"

Und mit den Grundwerten der Grünen identifiziert sich Wurzer, auch wenn sie sagt: "Man stößt an Grenzen, weil die Grünen gerade in den letzten Jahren versucht haben, sich als regierungsfähig und staatstragend zu präsentieren." Die Grünen seien in der Vergangenheit oft schon im Vorfeld inhaltliche Kompromisse eingegangen. Das habe sich aber in letzter Zeit, seitdem Alexander Van der Bellen nicht mehr im Amt ist, wieder gebessert.

Nach der Wahl wollen die Grünen in Wien eine Koalition mit der SPÖ eingehen. Auch Wurzer sagt: "Rot-Grün ist die beste Variante für die Stadt. Es liegt auf der Hand, dass das der Stadt sehr gut tun würde." Auch wenn ihr bewusst ist, dass man dann noch mehr Kompromisse eingehen müsste: "Die Rahmenbedingungen für unsere Arbeit würde das natürlich verändern."

"Ich spreche Bobo, bin es aber nicht"

Den Vorwurf, dass die Grünen oft abgehoben agieren, versucht Wurzer zurückzuweisen. Sie sagt: "Ich spreche Bobo, bin es aber nicht. Ich bin anders aufgewachsen, komme selbst aus einer Arbeiterfamilie." Wurzer ist es daher auch besonders wichtig, dass die Grünen in der Gruppe der Arbeiter Terrain gewinnen. "Die Grünen erwecken teilweise den Eindruck, als wären sie nur für die Akademiker, aber so ist es von unserem politischen Programm her nicht."

Ihre erste politische Aktion setzte Wurzer im Übrigen noch in Tirol. "Jörg Haider ist 1995 in Hall aufgetreten und wir haben uns mit Zahnbürsten auf den Boden vor die Bühne gekniet, um direkt vor der Bühne das Kopfsteinpflaster zu bürsten." Haiders Securitys waren schnell zur Stelle. (rwh, derStandard.at, 23.8.2010)