Florence Nightingale: "Bemerkungen zur Krankenpflege. Die 'Notes on Nursing' neu übersetzt von Christoph Schweikardt und Susanne Schulze-Jaschok". € 25,50 / 276 Seiten. Mabuse, Frankfurt/Main

Coverfoto: Mabuse Verlag

Als Königin Victoria 1837 den Thron bestieg, war das Britische Empire bereits im Höhenflug begriffen. Ein riesiges Kolonialreich unterstand der Krone, Industrialisierung, Markterweiterung und Ausbau des Transportwesens bewirkten ab dem 18. Jahrhundert jene Veränderungen, die Friedrich Engels als "Industrielle Revolution" definierte. Die erhöhte Lebenserwartung resultierte in einer rapiden Bevölkerungszunahme: London, damals die größte Stadt der Welt, wuchs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts um 146 Prozent. Sanitärprobleme waren die Folge, Typhus und Cholera hatten leichtes Spiel: ernstzunehmende Herausforderungen. Florence Nightingale nahm die Herausforderung an. Geboren 1820 in eine wohlhabende Familie, genoss sie eine umfassende Ausbildung, wobei sie besondere Begabung für Mathematik und Statistik an den Tag legte. Den Heiratsantrag eines Adligen wies sie zurück - sie fühlte sich von Gott dazu berufen, ihr Leben dem Dienst an den Kranken zu widmen. Ihre Familie reagierte schockiert: Krankenschwestern entstammten zu jener Zeit meist dem ärmlichen Milieu und waren alles andere als angesehen.

Doch Florence setzte sich durch. Nach ihrer Ausbildung im Ausland übernahm sie 1853 die Leitung des Establishment for Gentlewomen during Illness in London, im Jahr darauf führte sie der Krim-Krieg nach Istanbul: In der rattenverseuchten Krankenstation sorgte Florence Nightingale gemeinsam mit anderen Krankenschwestern für eine bessere Versorgung der Soldaten.

Zurück in London gründete sie eine Stiftung und eine Krankenpflegeschule. Obwohl sie seit dem Krim-Einsatz an Fieber litt, das sie ans Bett fesselte, verfolgte sie ihr Anliegen. Sie wies nach, dass im Lauf des Krieges mehr Männer an Krankheit als an Wunden starben, und plädierte in einem Brief an den Earl of Shaftesbury dafür, statistisch die Anzahl der Ansteckungen und Todesfälle festzuhalten - eine entsprechende Kommission wurde eingesetzt.

Von der Presse verlangte sie Aufklärungsarbeit, von den Behörden Vorsorgemaßnahmen: Deren Kosten seien geringer als die Behandlung ausgebrochener Krankheiten. Obwohl Nightingale sich selbst außerhalb der gesellschaftlichen Normen bewegte, kann sie kaum als Kämpferin für Frauenrechte gelten: Nightingales Interesse galt der Krankenpflege, deren enggefasste Bedeutung sie in ihren Notes on Nursing (1859) kritisierte: Man verstünde darunter "kaum mehr als das Verabreichen von Medizin und das Anlegen von Umschlägen". Genauso wichtig seien frische Luft, Sauberkeit, Ruhe und angemessene Kost.

Nightingale vertrat die damals populäre Miasma-Theorie, die von einer Krankheitsübertragung durch verunreinigte Luft ausging. Oberstes Gebot im Umgang mit dem Patienten war: "Die Luft, die er atmet, so rein zu halten wie die Luft draußen, ohne ihn zu erkälten." Mittlerweile widerlegt, inspirierte die Miasma-Theorie etliche Gesundheitsreformen und ein Bewusstsein für Hygiene. Für ihre Leistungen erhielt Nightingale das Royal Red Cross aus der Hand Königin Victorias und wurde als erste Frau in die britische Royal Statistical Society aufgenommen. Als sie am 13. August 1910 starb, hatte sie indirekt auch die Lage mancher Frau verbessert: Der Beruf der Krankenschwester hatte an Ansehen gewonnen. (Myrta Köhler/DER STANDARD, Printausgabe, 21./22. 8. 2010)