
Ob der Bund fürs Leben geschlossen werden konnte, ist nicht bekannt, aber mit Bier und Musik gehen Liebesbezeugungen gleich leichter. Spaß vor der Bühne beim FM4 Frequency.
Ein Lokalaugenschein.
St. Pölten – Ein Rudel Jungmänner in Damenkleidern, auf dem Kopf Perücken, um den Hals Perlenkette. Köstlich. Diese Aufmachung ist nicht nur seit dem Villacher Fasching von 1973 ein dort immer wiederkehrender Klassiker gehobenen Humors, er findet sich auch beim FM4-Frequency-Festival wieder. Derlei ausgestellte Nichtscham ist nur ein Indiz dafür, dass dieses dreitägige Festival vor allem auch eines ist, ein Kirtag. Am Donnerstag hat dieses jährliche Gipfeltreffen zur Musik aus dem alternativen Mainstream begonnen.
So ein Kirtag ist lustig, ob man will oder nicht. Schließlich gilt, dass von den rund 40.000 Gästen, die sich bereits am ersten Tag einfanden, gut die Hälfte an den gerade auftretenden Bands nicht interessiert ist und sich die Zeit anderwärtig vertreibt. Sie wandern verhaltensoriginell zwischen den Bühnen herum, gustieren mit den Ablenkungsangeboten von der Ablenkung. Ihre ständigen Begleiter heißen Hunger und Durst, Betonung auf Durst. Zu der auf dem ganzen Gelände dauerpräsenten Musik, dem Viagra der Welt- und Dorfjugend, wird demnach satt Unfug getrieben.
Torkelnd, es ist immerhin schon fünf Uhr vorbei, hält einer ein Schild in die Höhe: "Niere zu verkaufen!" Auf der Rückseite des Kartons ist das Wort "Pudan" drauf gekrakelt. Dieses Anliegen beschert ihm einen Zwischenerfolg, als sich ein junger Mann im Bad-Religion-T-Shirt seiner erbarmt und mit ihm kopuliert – trocken. Die Umstehenden liegen bald vor Lachen und anderer Schwere. Dazu ertönt von der Bühne Hand Me Down Your Love von der britischen Pop-Band Hot Chip, der das Programmheft "treibende Songs" unterstellt. Irgendwie scheint das alles zusammenzuhängen.
Das FM4 Frequency ist ein Laufsteg der Eitelkeiten. Und nirgendwo steht geschrieben, dass Eitelkeit geschmackvoll zu sein hat. Girls mit dick bemalten Schenkeln im Schlampenlook cruisen. Eine paar Jungs mit vorzivilisatorischen Slogans bezüglich des Umgangs mit Frauen auf ihren T-Shirts frohlocken. Die Mädchen kichern, ein Höhlenbewohner balzt unbeholfen, seine Absicht und den Rausch allzu deutlich ins Gesicht geschrieben. Sein nackter Oberkörper tendiert farblich in Richtung Tomatenrot. Sodbrand und Sonnenbrand, das ist Rock 'n' Roll!
Ein Quell der Erheiterung
Angesichts des Programms vor und zwischen den Bühnen hat manche Band einen schweren Stand. Auf der Race Stage spielen die britischen White Lies ihren schablonenhaften New-Wave-Pop. "Songtitel wie Death oder To Lose My Life lassen Unheimliches vermuten" , steht über die White Lies im Programmheft. Huch! Zum Glück ist es taghell.
Das Programmheft ist überhaupt ein Quell der Erheiterung. Im Kleinstformat und einem Layout, das zirka 1994 aus der Mode kam, stehen Infos, die wie unter physischen Schmerzen entstanden wirken: "Seit ihrer Gründung im Jahr 2007 haben die Burschen von Mumford & Son eine wichtige Gemeinsamkeit. Musik zu machen, die zählt, ohne sich selbst ernst zu nehmen." Autsch.
Aber einfache Vergnügungen sind nicht alles. Beim Frequency wird auch gearbeitet. Rechts vor der großen Bühne, abgeschirmt von einem Zaun und einer Toilette, hat FM4 Stellung bezogen und ein mobiles Studio aufgebaut. Ein Sendewagen steht da und ein Container mit Laptop-Stationen, der wie ein asiatischer Sweatshop wirkt. Von dort wird berichtet, wie super alles ist.Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes liegt in einer Halle der Pressebereich. Im Schnelldurchlauf werden Bands in kleine Räume geführt, anschließend Journalisten rein- und durchgewinkt. So ähnlich stellt man sich Kabinensex vor.
Vor der Tür dröhnt derweil Balkan-Punk von der Bühne. Der Sound wird immer wieder vom Winde verweht, Tausende jubilieren im Staub. Nach dem Konzert weiß man, dass so ein BH auch über den Kopf verrutschen kann – zumindest wenn man einem Konzert von Gogol Bordello beigewohnt hat. Wilde Hunde, das.
Obelix nach der Schlacht
Ansonsten? Die seit 30 Jahren Punk hobelnden Bad Religion – fad. Die wiedervereinten Skunk Anansie? "Ihnen geht es nicht nur um Musik, sondern auch um Botschaften" , so das Programmheft. La Roux? Konservenmucke. NOFX? Nicht freiwillig. Hollywoodstar Kate Hudson, die Freundin von Muse-Sänger Matthew Bellamy, wurde gesichtet. Gähn.
Man schlendert weiter. Neben einem T-Shirt-Verkaufsstand sitzt ein Hamburger- und Pommes-Friedhof im Schneidersitz im Gras. Neben ihm türmen sich Pfandbecher mit Henkeln. Damit sieht er aus wie Obelix mit seiner Helmsammlung nach einer Schlacht mit den Römern – zufrieden. Auf seinem T-Shirt steht "Sex Teacher" , auf dem seines neben ihm im Gras einen Rausch ausschwitzenden Freundes steht "Attitude" , Haltung.
Schön war's nicht, lustig allemal. (Karl Fluch, DER STANDARD – Printausgabe, 21./22. August 2010)