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Immer ein pittoreskes Bild: die Pauli-Anhänger.

Foto: APA/Bimmer

Die Saison war noch gar nicht angepfiffen, da hatte St. Pauli schon einen Titel in der Tasche. Das schönste Trikot der Bundesliga 2010 hat der Hamburger Kultclub, beschied eine Jury der Mediadesign Hochschule in Berlin, München und Düsseldorf. Kaffeebraun ist es, und Antje Osterburg, Dekanin für Modedesign, meint: "St. Pauli ist mehr als Fußball, ein Lebensgefühl. Genau das transportiert das Trikot."

Lebensgefühl. Mythos. Kult. Es fallen keine geringeren Begriffe als diese, wenn von St. Pauli die Rede ist. Acht Jahre lang kickte der Club in der zweiten Liga, davor reichte es überhaupt nur für die dritte Liga. Doch jetzt, pünktlich zum 100. Geburtstag, schaffte man den Aufstieg in die erste Liga.

"Der Mythos von St. Pauli ist untrennbar mit dem gleichnamigen Hamburger Stadtteil verbunden", sagt René Martens, der mehrere Bücher über St. Pauli verfasst hat, zum Standard. Mitte der Achtzigerjahre war Fußball in Deutschland noch fast ausschließlich eine Männerdomäne, Massen an Alkohol und Pöbeleien galten bei vielen "Fans" als fixer Bestandteil des Stadionbesuchs.

Club und Stadtteil am Boden

In Hamburg lagen zu jener Zeit sowohl der Stadtteil St. Pauli (mit der sündigen Reeperbahn) als auch der gleichnamige Fußballclub darnieder. Aus Angst vor Aids schlossen in dem Arbeiterbezirk viele Rotlichtbars, Unternehmen wanderten ab.

Der Verein hatte 1979 durch Misswirtschaft so viele Schulden angehäuft, dass ihm der Deutsche Fußballbund (DFB) sogar vorübergehend die Lizenz entzog.

Doch beiden, dem Stadtteil und dem Club - scherzhaft auch das Freudenhaus der Bundesliga genannt -, gelang die Wende. Nach St. Pauli zogen wegen den günstigen Mieten immer mehr Studenten und Künstler. Und diese hatten einen gänzlich anderen Zugang zum Fußball. Fußball und Politik, das schloss sich plötzlich nicht mehr aus - auch nicht für die, die auf dem Spielfeld standen.

Sympathie mit Hausbesetzern

Torwart Volker Ippig etwa leistete freiwillige Aufbauarbeit in Nicaragua und wohnte zeitweise auch in der Hafenstraße, um seine Sympathie mit den Hausbesetzern kundzutun. St.-Pauli-Fan zu sein, das war ein Bekenntnis zum Unangepasstsein, nicht nur ein Gegenentwurf zum Establishment, sondern auch zu vielen rechten Fans des HSV (Hamburger Sportvereins).

"Der Spirit jener Zeit lebt immer noch", ist Autor Martens überzeugt. "Non established since 1910", nennt sich der Club selbst, nirgendwo sonst in der deutschen Bundesliga gibt es eine so enge Verflochtenheit von Anhängern und Mannschaft. Auch während der Zeit in der zweiten Liga war das Stadion am Millerntor immer voll, erreichte St. Pauli beim Verkauf von Fanartikeln mit dem Totenkopf-Emblem Rekordzahlen. Elf Millionen St.-Pauli-Fans hat der Sportvermarkter UFA Sports weltweit ermittelt.

Doch jetzt brechen im Oberhaus der Bundesliga neue Zeiten an, und die fordern ihren Tribut. Das alte, grindige Stadion am Millerntor wurde saniert und renoviert. Es gibt jetzt Business-Plätze und ordentliche Toiletten. Viele fürchten, dass es künftig mehr um den Mammon als um den Mythos gehen wird. Alles ist nun größer: das Budget, die Mannschaft, der Druck.

"Der Kern von St. Pauli wird aber erhalten bleiben, diesen Hipness-Faktor wollen die Sponsoren ja auch", meint Mertens. Und die Fans werden ein waches Auge auf das Management haben. Einen Aufstand gab es ja schon: Die Fans verweigerten die Umbenennung des Millerntorstadions. Der Name soll, auch wenn es viel Geld brächte, nicht an einen Sponsor verkauft werden.

"Wir werden mit Spaß und Selbstvertrauen an die Sache herangehen. Wir sind in jedem Spiel der Außenseiter, aber wir wollen die Chance, die uns keiner gibt, nutzen", verspricht Trainer Holger Stanislawski für die kommende Saison. Wunder gibt es ja bekanntlich immer wieder. 2002 etwa besiegte St. Pauli den FC Bayern München, der zuvor den Weltpokal gewonnen hatte. Sofort gab es St-Pauli-T-Shirts mit dem Aufdruck "Weltpokalsiegerbesieger". Sie verkauften sich glänzend.

 

 

St. Pauli, "non established since 1910". Der vormalige Zweitligist spielt nach acht Jahren wieder in der ersten deutschen Bundesliga und wird dem deutschen Fußball bunte Momente bescheren. Dafür sorgen schon die zahlreichen treuen Fans, die zum Großteil den Mythos des 100-jährigen Fußballklubs aus Hamburg ausmachen. (DER STANDARD PRINTAUSGABE 21.8. 2010)