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Foto: APA/Helmut Fohringer

Karin Bauer - CONTRA

Hirn mit Ei - das war für uns Kinder vorgesehen, wenn Schlachttag war. Die Oma hat es für uns abgerührt und geröstet, wir haben zugeschaut. Später dann im Speisenkeller haben wir auch zugeschaut, wie die Tante Berta (wir sind nicht verwandt, "Tante" war eine Art Expertinnenstatus) mit eigens mitgebrachtem Holzlöffel die Blunzensuppe im Kupferkessel abgeschmeckt hat. Mit dem Opa haben wir derweil die Gedärme ausgewaschen - allesamt Vorbereitungen für Festtagsessen: Blutwurst. Ich erzähle das nicht, damit es einen ordentlich abgruselt. Es gruselte mich damals nicht, nicht einmal in der Erinnerung an das Schweindlkreischen beim Abstechen. Und all diese Erinnerungen gruseln mich auch heute nicht, obwohl ich seit zwei Jahrzehnten keine Tiere esse. Kein Fleisch und auch keine Fische. Ich habe kein Fleisch-Trauma von damals.

Diese Erinnerungen sind in einer anderen Schublade - weil unser eigenes Schwein zu schlachten und alle Teile essbar zu machen war ein Luxus. Ein Ritual. Ich will gar nicht zu viel Dankbarkeit hineintun ex post, aber zumindest Respekt vor dem Vieh und dem, was es uns war. Wir haben damals auch unseren Paradeisern, den Weingartenpfirsichen und unseren Weintrauben mit Respekt beim Reifen zugesehen. Opa hat es gehasst, wenn bei der Weinlese Beeren auf dem Boden liegengeblieben sind. Er ist durch die Reihen gegangen und hat sie hinter uns Kindern aufgeklaubt.

Fleisch essen war Luxus. Dann konnte ich mir den Luxus leisten, keines zu essen. Jetzt ist es für mich eine Verpflichtung.

Es ist erstens die ständig beobachtete Unachtsamkeit gegenüber als essbar etikettierten Lebewesen, die mich dazu gebracht hat, keine Tiere mehr zu essen. Die Unerträglichkeit des Anblicks von respektlosem Fleischkonsum in rauen Mengen, von Weggeworfenem, von Tiertransporten. Dann erst haben mir die Tiere leidgetan. Dann habe ich noch genauer hingeschaut. Und es hat wehgetan zu sehen, wie Retrievern püriertes Kalbfleisch gefüttert wird, sie danach mit Lachsleckerlies im Bett schlafen, während draußen die Steaks bruzzeln und die Schillerlocken angerichtet werden. Ich wurde missionarisch und hörte immer: "Ich brauche Fleisch." Das stimmt für unser Leben, unseren Zugriff auf Lebensmittelvielfalt nicht.

Ich habe es ausprobiert. Ich brauche keine Tiere zum Essen. Ich pflege keine tabellarische Ersatz-Ernährung mit Soja oder anderen hippen Produkten. Ich esse, was mir gut schmeckt, inklusive Schokolade. Man hat mich gewarnt. Vor allem vor und während der Zwillingsschwangerschaft. Ich war als mangelernährtes Wesen eingestuft. Beruhigt und tierlos im Essen gehalten hat mich die Überzeugung, dass hier, in dieser Überangebotsgesellschaft, alles da und essbar ist, was frau und werdende Mutter für ihre Kinder und sich braucht.

So war es auch. Erstaunte Ärzte wegen des wunderbaren Blutbildes, Kinder bei bester Gesundheit und auf angstrengendstem Energieniveau. Ob ich meine Kinder vegetarisch ernährte, werde ich oft gefragt. Vermutlich möchte man eigentlich wissen, ob ich zwänglerisch fundamentalistisch sei. Nein.

Ich thematisiere sehr oft meine Haltung gegen Fleischkonsum - auf weltanschaulicher Basis. Auf dieser Ebene sind die Argumente ja zählbar, messbar, wägbar, vom Landverbrauch bis zu den Methanemissionen und den Klimafolgen bis zur volkswirtschaftlichen Komponente - aktuelles Beispiel Argentinien. Ich versuche, eine Reflexion über Fleischgewohnheiten in Gang zu bringen. Das tue ich auch bei den Kindern - bis jetzt nicht mit radikalem Erfolg.

Ich koche noch immer Fleisch. Weil ich mir nicht ganz sicher bin, dass mein Selbstversuch des rein Vegetarischen bei Menschen, die gerade wachsen, genauso gesund ist. Ich glaube es, weiß es aber nicht. Aber ich hoffe, dass meine Kinder irgendwann von sich aus Nein sagen. Weil sie dann wissen, dass sie es nicht mehr brauchen. Und weil sie erkennen, dass "schmeckt gut" für Menschen, die im Lebensmittelüberfluss leben, keine Legitimation ist, Tiere zu töten und sich zwischen die Zähne zu schieben. Immerhin haben sie das Glück, an einem Ort der Erde, in einer Familie aufzuwachsen, die es sich leisten kann, über solche Fragen nachzudenken - und es daher muss. (DER STANDARD Printausgabe, 23.8.2010)