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1998 gab es den Hinweis eines Polizisten, dass in diesem Haus in Strasshof möglicherweise der Entführer von Natascha Kampusch wohnt. Der Auftrag von Herwig Haidinger, damals Chef des Bundeskriminalamtes, den Polizisten offiziell als Zeugen zu befragen, wurde unmittelbar nach Kampuschs Flucht ignoriert

Foto: AP/HANS PUNZ

Zum Jahrestag der Flucht von Natascha Kampusch brodelt die Diskussion über Interventionen wieder auf

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Wien - "Wenn man das in ein Lehrbuch verarbeitet, kann man es benutzen, um zu zeigen, wie man es nicht macht." Herwig Haidinger, der 2008 unfreiwillig abberufene ehemalige Chef des Bundeskriminalamtes, bleibt ruhig, wenn er über die Causa Kampusch redet. Genauer, über die angeblichen politischen Interventionen bei der Aufarbeitung von Ermittlungsfehlern, die er angeprangert hat. Und noch immer anprangert.

Interessante Fragen

"Ich bin ja froh, wenn sich Stück für Stück beweist, dass meine Aussagen richtig waren" , kommentiert er einen Artikel in der aktuellen Ausgabe des Profil, in dem aus den Ermittlungsakten der 2008 eingerichteten "Soko Kampusch" zitiert wird. Darin wirft ein bisher wenig beachtetes Detail interessante Fragen auf.

Konkreter Hinweis von Polizeihundeführer

Zur Erinnerung: Am 23. August 2006 tauchte in Strasshof eine junge Frau auf, die sich als die 1998 entführte Natascha Kampusch zu Erkennen gab. Noch am Abend stellt sich polizeiintern heraus, dass es bereits 1998 einen konkreten Hinweis auf den mutmaßlichen Entführer Wolfgang Priklopil gegeben hatte. Von einem Polizeihundeführer.

Auftrag für Ermittlungen

Ein Umstand, der Haidinger alarmierte. "Zum damaligen Zeitpunkt war ja noch völlig unklar, ob es Mittäter bei der Entführung gegeben hat. Es ging daher ja noch nicht einmal so sehr um eine Evaluierung etwaiger Pannen, sondern um die strafrechtlichen Ermittlungen" , sagt Haidinger heute im Gespräch mit dem Standard. Daher habe er Karl Mahrer, dem heutigen Landespolizeikommandanten von Wien, damals den Auftrag erteilt, die Hinweis-Sache aufzuklären.

Erhebungen nicht mehr erforderlich

Umgesetzt wurde das zunächst nicht. Denn Mahrer hatte laut dem Innenministerium beschieden bekommen, "dass weitere Erhebungen dazu nicht mehr erforderlich seien" .

Keine Weisung

Am 29. August ging es bei einer Besprechung im Bundeskriminalamt wieder um den Hundeführer. "Dort hat mir Koch (Nikolaus Koch, Landespolizeikommandant des Burgenlandes, Anm.) gesagt, er habe von Franz Lang (damals stellvertretender Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, heute Haidingers Nachfolger, Anm.)den Auftrag bekommen, die Erhebungen zu leiten" , erzählt Haidinger. Haidinger wollte für seine De-facto-Entmachtung eine schriftliche Weisung von Lang. "Wenn mir mittelbar eine Weisung erteilt wird und ich diese auf Anforderung nicht schriftlich bekomme, gilt sie dienstrechtlich als zurückgezogen" , beharrt Haidinger. "Gekommen ist die Weisung nie."

Koch befolgte dagegen offensichtlich den Auftrag von höchster Ministeriumsstelle. Noch am selben Abend ließ er zwei Kriminalbeamte zum Hundeführer fahren, um mit ihm zu reden. Eine Zeugenaussage war es nicht, wie einer der beiden Ermittler im Jahr 2008 vor der "Soko Kampusch" sagte. Er habe von Koch bestätigt bekommen, dass man "keine Niederschrift aufnehmen" müsse.

Bevorstehende Wahlen

Aus der Sicht des Hundeführers ging aus der Unterhaltung mit seinen Kollegen klar hervor, dass er bezüglich des Priklopil-Hinweises schweigen sollte. Der Grund war, seiner Interpretation nach, dass aufgrund bevorstehender Wahlen kein Staub aufgewirbelt werden sollte.

Abgeschobener Haidinger

Herwig Haidinger, der vor einer Woche "ohne zugewiesene Funktion" ins Innenministerium am Minoritenplatz versetzt worden ist, wundert sich noch heute darüber, dass damals keine richtige Zeugenaussage aufgenommen wurde. "Ich frage mich: Sind die Ermittler so naiv oder wollten sie, warum auch immer, nicht? Ersteres schließe ich eher aus, das waren ja erfahrene Beamte."

Adamovich-Kommission

Die "Adamovich-Kommission" , die vom Innenministerium im Februar 2008 zur Evaluierung eingesetzt worden ist, sowie der abrupt beendete Untersuchungsausschuss des Parlaments kamen zu einer eigenen Antwort. Man habe "keine parteipolitisch motivierten Vertuschungstendenzen feststellen" können, attestierte die Kommission.

Der am Rande in die Sache verwickelte Landespolizeikommandant Karl Mahrer will daher auch keinen Kommentar abgeben: "Die Angelegenheit ist von mehreren Seiten untersucht worden, und es wurden keine Verfehlungen attestiert." Nikolaus Koch war am Sonntag nicht erreichbar. (Michael Möseneder, DER STANDARD Printausgabe 23.8.2010)