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Im Sog von Obsorge-Streitigkeiten: Kinder.

Foto: APA/Frank Rumpenhorst

"Natürlich" ist eine automatische gemeinsame Obsorge gewünscht. "Natürlichkeit" wird in diesem Zusammenhang nur allzu gerne verwendet. Doch diese scheinbare (von Gott gewollte) "Natürlichkeit" entspricht weder der Zeit noch der gesellschaftspolitischen Realität in Österreich.

Würden sich die politischen AkteurInnen die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen vor Augen führen, würden sie erkennen, dass der Plan der automatischen gemeinsamen Obsorge von Justizministerin Bandion-Ortner, ÖVP-Familienstaatssekretärin Marek und FPÖ-Frauensprecherin Gartelgruber für ÖsterreicherInnen nicht geeignet ist - zumindest jetzt nicht. Es müssen noch Dekaden eines anderen politisch-ideologischen Diskurses vergehen, um bedenkenlos sagen zu können: Natürlich ist eine automatische gemeinsame Obsorge gewünscht.

Die Werbetrommel schlagen

Zu Beginn der Debatte wurde das Wort einem deutschen Juristen übergeben, der die Werbetrommel für die automatische gemeinsame Obsorge heftig schlug. Dass in Deutschland und in dem von ihm zitierten Schweden andere gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen herrschen, wird weder von ihm noch von den österreichischen BefürworterInnen gesehen. Ein typisches Beispiel für politische Debatten in Österreich. Der Obsorge-Streit führt aber noch weitere Stilblüten politischer Debatten in Österreich zu Tage.

Vom Einzelfall zur Allgemeinheit

Der Frauenring gab bekannt, dass der Großteil der Väter jener Kategorie zuzuordnen ist, die sich nach Scheidung oder Trennung nicht um ihre Kinder kümmert. Diese Realität wird von den PolitikerInnen ausgeblendet und in weiterer Folge von Einzelfällen auf eine gesamte Gruppe geschlossen. Politisch bedient wird nämlich jenes Väter-Klientel, das sich gekränkt fühlt, sich rächend und störend einbringt, um die gemeinsame Obsorge zu erkämpfen. Von Seiten der Politik wird zu Unrecht die Gruppe der benachteiligten Väter konstruiert, die aber eben nur Einzelfälle darstellen. Jene, die sich von Beginn der Vaterschaft an einbringen, benötigen für ihr Tun keine gesetzliche Verankerung.

Realitätsverweigerung

Ferner werden in der Debatte strukturelle Gegebenheiten außen vor gelassen. Die Entscheidung, wer von beiden Eltern in Karenz geht, hängt in den meisten Fällen von ökonomischen Faktoren ab. So lange Frauen in der Privatwirtschaft weiterhin um rund ein Viertel weniger verdienen als ihre Kollegen und Partner, werden Väter die Familienernährer bleiben, Frauen als Dazuverdienerinnen am Arbeitsmarkt reserviert und - wie auch in der Zeitverwendungsstudie aufgezeigt - für die Versorgungsarbeit zuständig bleiben. Die PolitikerInnen sind gefordert, die Strukturen für beide Geschlechter so zu gestalten, dass die Karenz für Väter attraktiv wird, generell die Vater-Rolle eine Wandlung erfährt und dass Frauen ökonomisch unabhängig existieren können ohne in eine Bittstellerinnen-Rolle gedrängt zu werden. Hierbei sollten auch die Kinderbetreuungsstrukturen so gestaltet werden, dass sie für jede/n zugänglich werden um ungehindert in den Beruf wiedereinsteigen zu können.

Sozusagen: ÖVP/FPÖ-Feminismus

Mit dem jüngsten Vorschlag der FamilienrichterInnen, - Alimente an das Besuchsrecht zu knüpfen - wird auch der ÖVP/FPÖ-Feminismus erneut offenkundig. Anstelle die armutsgefährdendste Gruppe in Österreich, nämlich Alleinerzieherinnen, zu stärken, sollen diese durch Unterhalts-Entzug auch noch bestraft werden. Für die BefürworterInnen der gemeinsamen automatischen Obsorge ein "diskussionswürdiger" Beitrag, und eine weitere Komponente im christlich-sozialen Leistungsdiskurs. Nicht zuletzt zeigt die Obsorge-Debatte, wie schnell hiesige PolitikerInnen Einzelverweise zu Agenden machen, wenn diese von Väter-Vereinigung und Männerpartei vorgetragen werden.

Es bleibt zu befürchten, dass jene, die keine Lobby und kaum Ressourcen zur Verfügung haben, erneut auf der Strecke bleiben, weil sie von den PolitikerInnen ignoriert und als nicht bedienenswert befunden werden. (Sandra Ernst-Kaiser, dieStandard.at, 24.08.2010)