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Julian Assange bei einem Vortrag vor schwedischen Gewerkschaftern am 14. August

Foto: epa/Bertil Ericson

 Am Samstagmorgen erschütterte eine Meldung des schwedischen Boulevardblatts "Expressen" die Weltöffentlichkeit: der Gründer der Enthüllungs-Webseite Wikileaks, Julian Assange, werde wegen Vergewaltigungsvorwürfen von der Polizei gesucht, schrieb das politisch rechts der Mitte eingeordnete Blatt. Eine Polizeisprecherin bestätigte den "Expressen-"Bericht: Staatsanwältin Maria Häljebo Kjellstrand habe wegen zweier Anzeigen angeordnet, Assange festzunehmen.

Die internationalen Nachrichtenagenturen verbreiteten die Sensationsmeldung, ein paar Stunden später ergab eine Google-Suche nach "Assange and rape" über eine Million Treffer. Der Wikileaks-Gründer selbst wurde am Samstag um sieben Uhr früh von einer schwedischen Bekannten über den Vorwurf informiert. Er nahm vorerst nur per Twitter Stellung: "Wir wurden vor schmutzigen Tricks gewarnt - dies ist der Erste", schrieb er um 10:15.

Haftbefehl zurückgezogen

Am späten Nachmittag gab Generalstaatsanwältin Eva Finne, die mittlerweile den Fall übernommen hatte, bekannt, dass sie die Anklage wegen Vergewaltigung und den Haftbefehl zurückgezogen habe. Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Belästigung würden aber fortgeführt. Der Tatbestand der Belästigung ist allerdings laut Wall Street Journal im schwedischen Strafrecht äußerst breit definiert: die Vergehen, die darunter fallen, gehen von Grapschen bis zu Tatbeständen ohne Sexualbezug wie Ruhestörung.

Der Zeitung Aftonbladet gelang es am Samstagnachmittag, eine der beiden Frauen zu erreichen, die Anzeige erstattet hatten. Berichte, dass sie aus Angst vor Assange zuerst nicht aussagen habe wollen, seien falsch, sagte sie: "Er ist nicht gewalttätig, und ich habe mich nie von ihm bedroht gefühlt".

Allerdings seien auch Verschwörungstheorien, dass das Pentagon hinter den Vergewaltigungsvorwürfen stünde, absurd: "Die Verantwortung dafür, was mit mir und dem anderen Mädchen passiert ist, liegt bei einem Mann, der ein seltsames Frauenbild hat und ein "Nein" als Antwort nicht akzeptieren kann".

Konsequenzen

Der nach wenigen Stunden wieder aufgehobene Haftbefehl könnte für Staatsanwältin Maria Häljebo Kjellstrand ein disziplinarrechtliches Nachspiel haben. Ein Juristenverband (Rättssäkerhetsorganisationen - RO) zeigte Kjellstrand am Sonntag wegen grober Verletzung der Objektivitätspflicht bei der Justizaufsichtsbehörde (Justitieombudsman - JO) an.

Wer profitiert von Veröffentlichung?

Auch Ex-Chefankläger Sven-Erik Alhem betrachtet die Affäre als "seltsam und verwirrend". Vor allem die schnelle Veröffentlichung des Haftbefehls kann sich Alhem nicht erklären. Der einzige, der von der Berichterstattung über einen Haftbefehl in Abwesenheit profitieren könnte, sei der Verdächtige, weil dadurch seine Chancen auf rechtzeitige Flucht größer würden.

In einer Stellungnahme auf der Webseite der Staatsanwaltschaft wird das Vorgehen der Behörde verteidigt: Normalerweise veröffentliche man keine Namen Verdächtiger. In diesem Fall habe man lediglich eine Zeitungsmeldung bestätigt. Wie "Expressen" an die Informationen gelangte, ist nicht bekannt. Auch Staatsanwältin Kjellstrand verteidigte ihr Vorgehen in der Boulevardzeitung "Expressen". Die von der Polizei übermittelten Angaben zu den Vorwürfen seien  "so überzeugend gewesen, dass ich daraufhin die Entscheidung fällte". Sie bereue ihren Beschluss nicht. (bed/derStandard.at, 23.8.2010)