Maurizio Pollini begeisterte mit einem souveränen Chopin-Abend.

Foto: Deutsche Grammophon/Philippe Gontier

Salzburg - Gut seine Laune, virtuos und unprätentiös sein Zugang zu Chopin: Alles passte im Großen Festspielhaus, wo Maurizio Pollini den Jahresregenten würdigte. Aus den Études op. 25 hat er zwar "nur" acht gespielt, aber dafür eine wundersame Begegnung mit dem Scherzo h-Moll op. 20 und den Deux Nocturnes op. 27 beschert: Durchhörbar bis in die Mittelstimmen hat er das Nocturne Des-Dur gestaltet; Geradlinigkeit und Stringenz herrschten beim verinnerlichten Prélude cis-Moll op. 45 - wie auch bei den 24 Préludes op. 28, die wie aus einem Guss wirkten.

Die Etüden? Aus dem strengen Eingangsmotiv zu jener in cis-Moll (Nr. 7) entwickelte Pollini ein Bild wehmütigen Sehnens. Die Schluss-Etüden (Nr. 10 bis Nr. 12) dann aber wie ein Feuerwerk. Faszinierend, wie Pollini in der h-Moll-Etüde die vielfältigsten und scheinbar gegensätzlichsten Affekte und Effekte entwickelte. In die choralartigen Eröffnungsakkorde der a-Moll-Etüde ging Pollini hinein, als gelte es, zu einem wilden Tanz anzustacheln. Im Kontrast dazu: die nicht weniger virtuose und doch so weich perlende c-Moll-Etüde.

Einem anderen Jahresregenten, Robert Schumann, widmet sich zuvor Pianist Tzimon Barto mit den Wiener Philharmonikern unter Christoph Eschenbach. Dabei standen selten gespielte Werke, zusammengestellt zu einem einzigen großen "Klavierkonzert", auf dem Programm. Mit der Umsicht des erfahrenen Pianisten schien Eschenbach den Solisten Barto auf Händen durch den Orchesterpart zu tragen; beim kleingliedrigen Konzert-Allegro mit Introduktion für Klavier und Orchester d-Moll op. 134 ließ der Dirigent jeder noch so flüchtigen Stimmung unendlich viel Entfaltungsraum. So erweckte das formal eher zerrissene Stück den Eindruck von Ruhe und Geschlossenheit. Dazwischen Schumanns Thema mit Variationen Es-Dur für Klavier (die "Geistervariationen"): Die nur scheinbar ständig in sich kreisende Verarbeitung ist ein Meisterwerk der feinen Nuancen, die Tzimon Barto mit Brillanz und Intensität nachgezeichnet hat.

Übrigens gab es auch eine Exkursion zum "Kontinent Rihm" - mit dem Ernsten Gesang, den Rihm 1996 zum 100. Todestages von Brahms angestimmt hatte. Auch ohne wörtlich zu zitieren - Brahms' Vier ernste Gesänge stehen nur als Gedanke im Hintergrund - schrieb der heuer in Salzburg zur Recht Gefeierte mit diesem Orchesterwerk einen "echten" Brahms:

Es spielen nur die tiefen Orchesterinstrumente. Das verstärkt die schwerblütige Grundhaltung und verleiht einzelnen Glanzlichtern - etwa den Streicher-Flageoletts - besondere Wirkung. Bei den unter Eschenbach vollmundig und klangsinnlich musizierenden Wiener Philharmonikern war dieser "Über-Brahms" in den denkbar besten Händen. (Heidemarie Klabacher, DER STANDARD - Printausgabe, 24. August 2010)