"Der Kampf ist schon da" : Hüseyin (Rutkay Aziz, li.) und Metin (Erhan Emre) in "Takiye", zu sehen am Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD

Foto: WDR/Bernd Spauke

"Rassismus hat eine andere Wurzel": Regisseur Ben Verbong

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STANDARD: "Takiye - Spur des Terrors" zeigt ein dunkles Paralleluniversum. Wie näherten Sie sich an?

Verbong: Ich musste feststellen, wie erschreckend wenig ich über Muslime wusste und brauchte ungefähr zwei Jahre, um mich in diese Welt hineinzufühlen. In dieser Zeit begriff ich, dass der Muslime ebensowenig wie der Katholik oder der Protestant existiert. Das sind Trugbilder. 

STANDARD:  Islamistische Organisationen, die mit Anlagebetrug das Geld ahnungsloser Muslime erschwindeln: Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Verbong: Ich kannte die Geschichte nicht und war erstaunt, um wieviel Geld es dabei geht: Millionen Menschen haben auf diese Art bis zu 50 Milliarden Euro verloren. Kadir Sözen (türkischer Drehbuchautor, Anm.) erzählte mir viel davon. Wir redeten mit Türken, die viel Geld verloren hatten. Wenn man sich für sie interessiert, sind sie sehr offen. Sie wissen, dass sie betrogen wurden und schämen sich für die Leute, die sowas im Namen des Islams gemacht haben. Deshalb ging ich vorsichtig vor und konzentrierte mich bewusst auf die Figuren, wie sie sich fühlen, wie Beziehungen leiden. Dann kommt man schnell auf allgemeine menschliche Reaktionen. Der Unterschied zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen ist da nicht so groß. 

STANDARD: Jeder, der viel Geld verliert, ist zuerst einmal stinksauer?

Verbong: Genau, und wenn man ohne zu wissen Teil dieser kriminellen Welt ist, fühlt man sich in seiner Ehre verletzt. Und da ist es egal, ob man aus einer Kultur kommt, in der die Ehre hoch gehalten wird oder nicht: Man fühlt sich verarscht. Das sind natürliche, menschliche Reaktionen.

STANDARD: Wie reagierten die Geschädigten als Sie Ihnen sagten, dass es über diese Schande einen Film geben wird?

Verbong: So wie ich das wahrgenommen habe, waren die meisten froh, dass das Unrecht endlich thematisiert wird. Ich fragte mich die ganze Zeit, was sie wohl sagen werden, wenn sie erfahren, dass ich ein ex-katholischer Niederländer bin. Es war nie ein Thema. Sie wollten wissen, ob das ein Film ist, der sie verleumden will oder Verständnis für sie aufbringt. Das war ihnen wichtig. Das letzte ist der Fall.

STANDARD: Der Film lief in der Türkei im Kino. Wie waren die Reaktionen?

Verbong: Eigentlich positiv. Die Kritik war: In der Türkei ist man für oder gegen den Islam. Es gibt keine objektive Position, dafür ist die Situation zu sehr zugespitzt. Das wurde dem Film vorgeworfen, dass er hier keine Stellung bezieht. Aber das wollten wir absichtlich nicht. 

STANDARD: Einer der muslimischen Darsteller sagt zum Verfassungsschützer: „Ihr agiert wie Amateure". Ist das Ihre Kritik?

Verbong: Nein. Darüber wollte ich keine Aussage machen. Die Form des Films zeigt: Der Kampf ist schon da. Der Mann vom Verfassungsschutz (Michael Mendl, Anm.) weiß, es wird nicht besser. 

STANDARD: Keine Chance?

Verbong: Ich bin nicht so pessimistisch, aber ich glaube, dass es fünf vor zwölf ist, sonst bekommen wir keinen Dialog mehr, dann gibt es nur noch Streit.

STANDARD: Rechtsradikale könnten angesichts türkischer Krimineller und Extremisten sagen, sie hätten es schon immer gewusst?

Verbong: Genau das Gegenteil. Rassismus hat eine andere Wurzel. Diese Xenophobie, die man in Europa spürt, ist die Angst vor dem Fremden. Der Film möchte eine Stimme gegen Rassismus sein. Und gegen den rechtsradikalen Geert Wilders.

STANDARD: Gab es in irgendeiner Phase von den kriminellen Holdings Reaktionen?

Verbong: Nein und ich bin froh darüber. Meine Frau hatte zwei Jahre richtige Bauchschmerzen. 

STANDARD: Was bedeutet es für Sie Regisseur zu sein in einem Land, in dem ein Filmschaffender ermordet wurde?

Verbong: Die wenigsten wissen, was Theo van Gogh schrieb. Er beleidigte einfach alle, das ist auch in Ordnung. Aber er beleidigte so lange, dass man sich irgendwann einmal fragte, was der Sinn der Sache ist. Und wenn ein Idiot kommt, der damit nicht umgehen kann, passiert das Schreckliche. In den Niederlanden fehlte der Dialog, es wurde nur zugespitzt. Jetzt ist der Dialog da.

STANDARD: Wie ist die Auftragslage im Filmland?

Verbong: Gut. Die Krise hat aber dazu geführt, dass einige fast alle Angebote kriegen und die anderen fast nichts. Das hat mit Status zu tun. Das Auftragsvolumen ist viel niedriger geworden in den letzten zehn Jahren. (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 24.8.2010)