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Viele, die als Kind missbraucht wurden, trauten sich erst nach Jahrzehnten darüber zu sprechen

Foto: EPA/Desplenter

Wien - 84 Menschen haben sich seit März bei der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft gemeldet. Sie alle waren als Kinder und Jugendliche Opfer von Gewalt oder sexuellem Missbrauch in Heimen der Wiener Jugendwohlfahrt geworden. Die Stadt wird den Opfern nun Entschädigungszahlungen leisten, weiters werden die Kosten für Therapien und Beratungen übernommen.

Bürgermeister Michael Häupl (SP) entschuldigte sich am Dienstag in seiner wöchentlichen Pressekonferenz bei den Betroffenen. "Wir sind uns unserer Verantwortung für die schrecklichen Ereignisse, die einigen Menschen widerfahren sind, bewusst." Das Leid sei nicht mehr gut zu machen, man werde aber alles unternehmen, um diesen Personen zu helfen und ihnen Gehör zu verschaffen, so Häupl.

Ältester Fall aus 1944

47 Opfer waren in städtischen Heimen untergebracht, 37 in privaten Einrichtungen, die unter der Aufsicht der Wiener Jugendwohlfahrt standen. 33 Betroffene haben zugestimmt, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Die meisten der bisher bekannten Gewalttaten ereigneten sich laut Stadtrat Christian Oxonitsch (SP) in den 1960er- und 70er-Jahren, der jüngste Fall stammt aus 1997, der älteste aus 1944. Ein Großteil der Heime, in denen es zu Übergriffen gekommen ist, existieren mittlerweile nicht mehr. Die sechs noch bestehenden Einrichtungen - darunter das August Aichhorn Haus, das Europahaus des Kindes und das Haus Döbling - seien umstrukturiert worden, betonte Oxonitsch.

Eine Historikerkommission, soll ab Herbst die Geschichte der Heimerziehung aufarbeiten. Die Archive stehen künftig allen offen, die in der Obsorge des Jugendamtes waren. "Jeder hat das Recht auf seine persönliche Geschichte", sagte Oxonitsch.

Mindestens 5000 Euro 

Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft bleibt Anlaufstelle für die Opfer. Die Geldzahlungen und die Therapien werden vom Opferschutzverband "Weißer Ring" koordiniert. "Den Betroffenen ist besonders wichtig, dass man ihnen glaubt und dass es eine vorbehaltlose Anlaufstelle gibt", sagte Udo Jesionek, Präsident des Weißen Ringes und Mitglied der Klasnic-Kommission. An der Opferschutzkommission der Bischofskonferenz werde man sich auch bei der Höhe der Entschädigungen orientieren, so Jesionek. Die Untergrenze liegt bei 5000 Euro, bei schweren Delikten kann die Summe 25.000 Euro oder mehr betragen. Die Stadt verlangt von den Opfern keine Verzichtserklärung. Das heißt auch nach einer Entschädigungszahlung können sie noch vor Gericht gehen.

Wien ist nach Tirol das zweite Bundesland, wo Gewaltopfer in Kinder- und Jugendheimen des Landes Entschädigungszahlungen erhalten. (fern, DER STANDARD Printausgabe, 25.8.2010)