Thomas Scherngell (li.) und sein Kollege Michael Barber erhielten Mitte August den Martin-Beckmann-Preis der European Regional Science Association (Ersa).

Fotos: AIT

Ein integrierter Forschungsraum, in dem Wissen frei fließen kann, ist zentrales Ziel der Europäischen Union. Derzeit fördert die siebte Auflage der Forschungsrahmenprogramme europaweite F&E-Netzwerke. Thomas Scherngell und Michael Barber vom Austrian Institute of Technology (AIT) Foresight & Policy Research Department haben Wunsch und Wirklichkeit des gemeinsamen Forschungsraums abgeklopft. Die Forscher verorteten Kollaborationen im 5. Forschungsrahmenprogramm (FRP) - insgesamt 728.000 Verbindungen zwischen je zwei forschenden Einrichtungen - in den europäischen Regionen und analysierten mithilfe räumlicher Interaktionsmodelle den Einfluss möglicher Barrieren auf die Wahrscheinlichkeit einer Zusammenarbeit. Für den besten Beitrag 2009 in der renommierten Zeitschrift "Papers in Regional Science" erhielten sie Mitte August den Martin-Beckmann-Preis 2010 der European Regional Science Association (Ersa).

Für die Analyse verwendeten der Wiener und der Amerikaner die europaweit einzigartige AIT-Datenbank "Eupro". Sie enthält systematische und statistisch bereinigte Informationen über sämtliche Kollaborationen in den FRPs. Die Ergebnisse zeigen, dass Ländergrenzen kaum mehr ein Hindernis für die Zusammenarbeit sind und sich Englisch gut etabliert hat. Die geografische Distanz ist jedoch noch hinderlich: "Wenn Einrichtungen weiter als etwa 300 Kilometer voneinander entfernt sind, nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Zusammenarbeit signifikant ab. Die Beteiligten versuchen innerhalb dieses Radius einen Partner zu finden", erklärt der Wirtschaftsgeograf Thomas Scherngell. Sein Kollege Barber, Netzwerkspezialist und Physiker, ergänzt: "Eine Kooperation über die Grenze ist mit unmittelbaren Nachbarn wahrscheinlicher." Die Auswertung zeigte zudem, dass geografische und sprachliche Separationseffekte bei öffentlichen Forschungseinrichtungen einen geringeren Einfluss haben als in der Industrie.

Mithilfe von statistischen Verfahren wurden Fakten freigelegt, die bei einer Befragung nicht hätten festgestellt werden können. Gemeinsam arbeiten die beiden nun an einem FWF-Projekt, mit dem sie ihre statische in eine dynamische Analyse überführen wollen. Mit Daten aus den Folge-FRPs sollen Entwicklungen über die Zeit sichtbar gemacht werden. Michael Barber (38), geboren in Gladstone (Michigan), träumte schon als Kind vom Forscherberuf und studierte schließlich an der Washington University. Er arbeitete in Köln, auf Madeira und ist jetzt in Wien tätig.

Thomas Scherngell (34) wollte Fußballer werden und dann erst Wissenschafter. Schon im Gymnasium interessierten ihn ökonomische Prozesse und regionale Entwicklung, was er an der WU Wien vertiefte. "Unsere Disziplinen nutzen ähnliche quantitative Methoden, aber mit unterschiedlichen Bezeichnungen. Bei der Modellierung waren wir uns schnell einig", erzählt Thomas Scherngell, der auch die Projektidee hatte. "The big picture is the same", bestätigt Barber. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe, 25.08.2010)