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Will nicht den Ruf der Muezzine hören: Thilo Sarrazin.

Foto: AP/Franka Bruns

Das politische Dasein könnte für SPD-Chef Sigmar Gabriel gerade angenehm sein. Schließlich weisen Umfragen lange nicht mehr erreichte Höhenflüge für die SPD aus. Doch auf seiner Sommerreise durch Deutschland hat Gabriel ein Problem im Handgepäck, und das heißt Thilo Sarrazin (SPD).

Berlins Ex-Finanzsenator, der jetzt im Vorstand der Bundesbank sitzt, hat ein neues Buch geschrieben ("Deutschland schafft sich ab", DVA-Verlag). Am 30. August erscheint es, doch ein Vorabdruck im Spiegel und in der Bild-Zeitung sorgt bereits jetzt für reichlich Diskussion. Denn Sarrazin geht darin hart mit muslimischen Migranten ins Gericht.

"In jedem Land Europas kosten die muslimischen Migranten aufgrund ihrer niedrigen Erwerbsbeteiligung und hohen Inanspruchnahme von Sozialleistungen die Staatskasse mehr, als sie an wirtschaftlichem Mehrwert einbringen. (...) Demografisch stellt die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten eine Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht im alternden Europa dar", heißt es.

Und weiter: "Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist, dass dort über weite Strecken Türkisch und Arabisch gesprochen wird, die Frauen ein Kopftuch tragen und der Tagesrhythmus vom Ruf der Muezzine bestimmt wird."

Sarrazin plädiert dafür, nur noch hochqualifizierte Zuwanderer ins Land zu lassen. Für die, die schon hier sind, soll es strengere Regeln geben: schärfere Sprachtests, Pflicht zu gemeinnütziger Arbeit, Kindergartenpflicht für Drei- bis Sechsjährige. Kommt jemand dem nicht nach, soll es Abzüge bei Sozialleistungen geben.

"Dämlich und gewalttätig", nennt Gabriel die Äußerungen Sarrazins und legt ihm den Austritt aus der SPD nahe: "Wenn Sie mich fragen, warum der noch bei uns Parteimitglied sein will, das weiß ich auch nicht." Gabriel will das Buch genau lesen und prüfen, ob Sarrazin mit seinen Äußerungen bestimmten Gruppen in der Bevölkerung bestimmte Charakterzüge zuweise. Das wäre nach Ansicht des SPD-Chefs nämlich "rassistisch".

Scharfe Kritik kommt auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Aussagen des Bundesbankers seien "äußerst verletzend, diffamierend und sehr polemisch zugespitzt", erklärte ihr Sprecher Steffen Seibert. Zudem seien Sarrazins Bemerkungen "überhaupt nicht hilfreich für die Integration von Ausländern in Deutschland. Da müsste ein ganz anderer Ton angeschlagen werden." (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 26.8.2010)