Fünf Jahre nach Katrina prägen immer noch Bruchbuden das Stadtbild von New Orleans.

Foto: Standard/Frank Herrmann

Das Vertrauen ist weg, vor allem im Lower Ninth Ward, dem schwarzen Armenviertel, wo die Menschen Hilfe am nötigsten hätten.

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Es wirkt wie ein Fremdkörper, das kleine, lila Haus. Handtuchschmal, nur ein Stockwerk hoch. "Shotgun Shack" nennen sie so etwas in New Orleans - angeblich, weil der Schrot einer Flinte ungehindert hindurchfliegen kann, von der Vorder- zur Hintertür. Aber die Farbe leuchtet frisch. Daneben vermodern Bretterhaufen, Kletterpflanzen haben Dächer erobert. Willkommen in der St. Maurice Avenue, willkommen im Niemandsland.

Freunde erklärten Jenga Mwendo für verrückt, als sie mit ihrer Tochter (6) in diese Einöde zog. Eine Bürgerinitiative kürte sie dagegen zur Musterfreiwilligen. Am Mississippi endet die St. Maurice Avenue an verfallenen Schuppen, wie sie in Krimis gern als Kulisse dienen. Jenga züchtet auf leeren Parzellen Gemüse. Es soll gepflegt aussehen. "Ich weiß, ich bin Sisyphos", sagt Jenga, "aber Katrina hat mich durchgerüttelt. Ich kann nicht mehr so tun, als ginge mich das alles nichts an."

Aus Lower Ninth kamen schockierendste Bilder

Der Lower Ninth Ward war das "Zentrum" des Hurrikans, der am 29. August 2005 auf New Orleans traf. In anderen Stadtteilen stand das Wasser genauso hoch. Aber aus dem Lower Ninth, wo traditionell Afroamerikaner der unteren Einkommensschichten wohnen, kamen die schockierendsten Bilder. Verzweifelte, die um Hilfe flehten, nachdem sie mit Äxten Löcher in ihre Dächer geschlagen hatten, um sich zu retten. Später wurde der Lower Ninth zum Symbol der kläglichen Reaktion von George W. Bushs Regierung.

Darryl Terrance schaffte es damals aus eigener Kraft. In der Früh nach dem Sturm glaubte er, das Schlimmste überstanden zu haben. Dann brachen die Dämme. Darryl rettete sich auf des Dach eines Altersheims. Nach sieben Tagen, erzählt er, holten Soldaten ihn. Zwei Monate später kehrte er zurück, schlief anfangs in seinem alten Chevy, weil das Haus verschimmelt war. Kumpels halfen beim Renovieren, er half ihnen - "auf Hilfe von Uncle Sam warten wir immer noch".

Gewaltige Flutmauer in Bau

Zwar sind die Dämme stärker und höher als zuvor und Kanäle mit Schutzschleusen gesichert - östlich der Stadt am Lake Borgne ist eine gewaltige Flutmauer in Bau -, doch der ernüchterte Frühinvalide glaubt nichts mehr von dem, was die Behörden versprechen. "Sobald sie im Wetterbericht was von einem Hurrikan erzählen, mache ich mich auf die Socken", sagt Darryl, "ich bin mein eigener Präsident."

Nur zu einem Drittel ist der Lower Ninth wieder bewohnt. Man sieht es in der Delery Street, in der Darryl Terrance lebt. Nummer 1327 ist ein Gerippe aus verfaulten Holzbalken, Nummer 1329 tipptopp renoviert. Aus der 1419 haben Diebe die Rohre gerissen. Die Armee hat das Haus durchsucht und niemanden gefunden, null Lebende und null Tote. So steht es immer noch an der Tür.

Viele Arme konnten nicht zurück

Mitch Landrieu, seit Mai neuer Bürgermeister, schätzt, dass heute 320.000 Menschen in New Orleans wohnen. Vor Katrina war es rund ein Drittel mehr. Wegen des knappen Wohnraums stiegen die Mieten seit Katrina um 40 Prozent.

Viele Arme, meist Afroamerikaner, können nicht zurückkehren. Vor dem Desaster war New Orleans zu zwei Dritteln schwarz, jetzt ist es das nach Schätzungen maximal zur Hälfte. Das trägt den Stadtvätern den Vorwurf ein, sie wollten sich sozialer Notfälle entledigen und stattdessen junge Weiße anlocken. Das Wasser, das fast überall stand, hat die Grundbücher zerstört und die Besitzurkunden weggespült. Manchmal dauerte es vier Jahre, bis Eigentumsfragen geklärt waren und der Fiskus Entschädigungen zahlte.

Aufbau geht langsam voran

Denise Thornton litt fünf Tage im Superdome, dem Notquartier der Gestrandeten. Sechs Monate später machte sie ihre modrig riechende Wohnung zur Kommunikationszentrale. Alte Nachbarn wurden aufgespürt, vor leeren Fensterhöhlen Schilder aufgestellt, die die baldige Rückkehr der Besitzer ankündigten. Nach und nach entstand ein Sog, heute ist Lakeview zu 70 Prozent wieder intakt. Ein weißes Mittelklasseviertel, das den Staat für den Wiederaufbau nicht brauchte. Bald zieht auch der große Supermarkt wieder ein, dann ist die Welt wieder heil. Äußerlich.

Wie es innerlich rumort, spürt man, wenn Thorntons Freundin Connie Uddo erregt von dem Handwerker erzählt, der sich über die Steuermittel für die Stadt, rausgeschmissenes Geld, beschwerte. "Na hören Sie", bekam er von Connie zu hören, "wir spielen in einer Liga mit New York, Boston und San Francisco. Wir sind unverwechselbar." New Orleans, der erste Schmelztiegel Amerikas, karibisch, europäisch und amerikanisch zugleich. "Eine solche Stadt gibt man nicht auf." (Frank Herrmann, DER STANDARD-Printausgabe, 27.08.2010)