Spät, aber doch hat nun also auch die Politik erkannt, dass die große Strafprozessreform vor zweieinhalb Jahren mit einem völlig inadäquaten Personalstand durchgezogen worden ist. Die 28 Millionen Euro, die beim von Bundeskanzler Werner Faymann einberufenen Justizgipfel von der Regierung zugesagt wurden, sollen in den kommenden vier Jahren an die 190 neue Planstellen ermöglichen. Und die hat die heimische Justiz auch bitter nötig - vor allem die ausgepowerte Staatsanwaltschaft.

Nur ein paar Zahlen zur Veranschaulichung der momentanen Arbeitsbelastung bei der Staatsanwaltschaft Wien, der größten Strafverfolgungsbehörde Österreichs: 90 Staatsanwälte und 42 Bezirksanwälte müssen sich pro Jahr um 210.000 Anzeigen kümmern. Dazu kommt, dass Staatsanwälte eben seit 2008 die alleinige Herrschaft über jedes Strafverfahren innehaben. Was also früher Untersuchungsrichter erledigten, fällt nun in den Zuständigkeitsbereich der Staatsanwälte, die wiederum die Polizei mit Ermittlungen beauftragen, aber theoretisch auch selbst ermitteln und Zeugen befragen können. Was aber zumindest im Grauen Haus in Wien bisher graue Theorie geblieben ist, weil kein Staatsanwalt die Zeit hat, sich auf Spurensuche zu begeben.

Justizministerin Claudia Bandion-Ortner hat also Grund zur Freude über mehr Personal, und der Bun- deskanzler darf sich als Retter der durch Wirtschafts- und Politcausen angeschlagenen Justiz feiern lassen. In einem Punkt sind die beiden freilich weiterhin uneins: Faymann hat Sympathie für die Abschaffung des politischen Weisungsrechts bekundet, die Ressortchefin will es aber partout nicht hergeben. Als Richterin und Standesvertreterin hatte Bandion-Ortner noch für die Unabhängigkeit der Staatsanwälte gekämpft, als Justizministerin sind ihr aber die inzwischen verschärften Vorgaben für mögliche Weisungen ausreichend. Immerhin müssen Weisungen an die Anklagebehörde schriftlich ergehen und dem Parlament berichtet werden.

Ein Korrektiv (etwa auch gegen eine geplante Einstellung eines Verfahrens) ist durchaus sinnvoll. Problematisch ist der momentane Umstand, dass das Ende der Befehlskette eben politisch besetzt ist. Denn gerade bei politisch heiklen Fällen - und davon gibt es derzeit bekanntlich jede Menge - kann die Optik leicht auf eine schiefe Ebene geraten.

Die Alternative wäre zum Beispiel ein unabhängiger Generalbundesanwalt wie in Deutschland, auch wenn diese konkrete Behörde nur für bestimmte staatsgefährdende Delikte zuständig ist. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass auch die Bestimmung eines Bundesstaatsanwaltes politische Sprengkraft beinhalten kann. Denn der gelernte Österreicher weiß, dass die meisten obersten Beamtenetagen mehr oder weniger offen parteipolitisch besetzt werden. Je weiter es hinaufgeht, desto größer wird die Beißhemmung gegenüber der fütternden Hand. In Wahrheit ist nicht die Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte das größte Problem, sondern das karrierefördernde Bestreben, es gar nicht darauf ankommen zu lassen.

Wenn es die Regierung tatsächlich ernst meint mit ihrer Kampfansage gegen vorauseilenden Gehorsam, Freunderlwirtschaft und Korruption, müssen zusätzlich zwei Schätze ausgepackt werden: Kronzeugenregelung und Whistleblowerschutz. Denn sonst wird auch weiterhin kaum jemand den Mut haben, den Mund aufzumachen. (Michael Simoner, DER STANDARD, Printausgabe, 27.8.2010)