Franz Allerberger, ist Leiter des Bereiches Humanmedizin der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit GmbH (AGES) in Wien.

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Kurt de Swaaf sprach mit dem Infektiologen Franz Allerberger über riskanten Rohmilchkäse, Risikoabwägung und die Verantwortung der Lebensmittelhersteller.

Standard: Die Anzahl der Listeriose-Fällen nimmt zu. Gibt es Anlass zu ernsthafter Besorgnis?

Allerberger: Die gibt es nicht, weil Listeriose nach wie vor eine seltene Krankheit ist. Dennoch nehmen wir bei der Ages diesen Anstieg sehr ernst, da es sich bei Listeriose um eine lebensmittelbedingte Erkrankung handelt und die Mortalität bei 25 Prozent liegt.

Standard: Die Bevölkerung wird trotz dieser Seltenheit immer wieder durch Berichte über gefährliche Listeriose-Ausbrüche aufgeschreckt. Ist das Panikmache?

Allerberger: Nein. Alles, was neu, selten und zunehmend ist, macht den Menschen Sorgen. Da erscheint dann das Risiko höher als bei bereits bekannten Gefahren. Wir haben in Österreich viel mehr Lawinenopfer als Listeriose-Tote, aber Lawinen sind schon seit Jahrhunderten eine Gefahr, während Listerien noch nicht lange bekannt sind. Ebenfalls besorgniserregend ist, dass sie durch Lebensmittel übertragen werden.

Standard: Welche Spätfolgen sind im Falle einer Listeriose-Erkrankung zu befürchten?

Allerberger: Wir sehen vor allem bei ältere Menschen mit eitriger Hirnhautentzündung infolge einer Listerien-Infektion regelmäßig Narbenbildung, die sich in Nervenausfällen äußert. Das kann zu Gehörverlust und Gesichtsfeldeinschränkungen führen. In den meisten Fällen aber kommt es zu einer kompletten Ausheilung.

Standard: Wie könnte man dem Listerien-Problem Herr werden?

Allerberger: Wir hoffen, dass unser Monitoring uns in die Lage versetzt, Ausbrüche schneller zu erkennen und die betroffenen Lebensmittel schneller aus dem Verkehr zu ziehen. Hersteller müssen gesetzeskonform reagieren, wenn sie Listerien in ihren Produkten feststellen. Hier hat anscheinend ein Bewusstseinswandel eingesetzt. In den vergangenen Monaten wurden von den Produzenten selbst wiederholt Käse und kalt geräucherter Fisch vom Markt genommen. Ein Nullrisiko ist aber unrealistisch. Es gibt diese Bakterien ganz einfach, und wir müssen mit ihnen leben.

Standard: Sollten die Verbraucher lieber die Finger von Rohmilchkäse und anderen potenziell belasteten Delikatessen lassen?

Allerberger: Einzeln auftretende Listeriose-Fällen werden immer wieder durch Rohmilch-Verzehr verursacht. Rohmilch ist eben ein hervorragendes Anreicherungsmedium für Bakterien. Das gilt auch für andere Krankheitserreger wie zum Beispiel Campylobacter. Wer Rohmilch konsumiert, muss deshalb selber das Risiko tragen. Das soll der Einzelne für sich abwägen. Rohmilchkäse ist für viele ein Teil ihrer Lebenskultur, ähnlich wie für andere Motorradfahren oder Bergsteigen, womit auch gewisse Gefahren verbunden sind. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD Printausgabe, 30.08.2010)