"Meine Kunst kommt nicht aus der Kunst, sondern aus dem Leben" - Christian Ludwig Attersee im März vor seinem Atelier.

Foto: Standard/Heribert Corn

Wien - "Für mich ist die Malerei die höchste Form der Verständigung. Da habe ich auch selbst eine Gottgleichheit, komme dem Jetzt ganz nahe und kann die Welt täglich neu erfinden. Kunst macht mein Leben sinnvoll in dieser Sinnlosigkeit. Das ist die Qualität, an die ich glaube: ein Bild zu malen und zu beenden." Und genau das macht Christian Ludwig Attersee - wenn er nicht gerade singt, schreibt, Wörter erfindet, Klavier spielt, Opern inszeniert, Gebrauchsgegenstände designt, Häuser und Kirchen plant, Filme, Platten und CDs sammelt, den Alltag verschönt: Er malt. Liest. Hört. Schaut. Entwirft. Kreiert. Erfindet. Malt. Langsam.

"Oft sitze ich an einem Bild ein, zwei Monate. Ich habe ja Zeit. Für mich ist die Malerei ein Beruf, in dem ich nichts mehr beweisen muss. Meine Bilder werden mir zugetragen von oben, unten und seitlich. Von überall. Ich brauche nur eine Zeitungszeile zu lesen, und schon fallen mir hunderte Bilder ein. Das ist das Wesen meiner Malerei: Alles kann alles sein. Der Inhalt kommt aus der Malerei."

Wogende, farbrauschige, überbordernde, poetische und verstörende Bildgeschichten hat Christian Ludwig Attersee auf tausenden Leinwänden erzählt, mit dem ihm typischen Attersee-Vokabular und den gewissen Attersee-Strichen und Pinselhieben, oft über die Leinwand hinaus. Hat sich mit Wind, Wetter und Wasser beschäftigt, mit Religionen, Kirchengeschichte(n) und Philosophien, mit Lebenslüsten und Sinnesgenüssen, Eros und Moral.

Zwei Hände zum Malen

"Wenn man kein besonderer Mensch ist, kann man keine besondere Kunst machen. Talent allein ist lächerlich. Man muss eine eigene Meinung und eine politische Haltung haben" , schärfte er zwischen 1990 und 2009 seinen Studierenden an der Universität für angewandte Kunst ein. Sorge, dass sie ihn kopieren könnten, hatte der ehemalige Staatsmeister im Segeln, der seinen Künstlernamen nach seinem Lieblingssee wählte, nie: "Es kann niemand mit zwei Händen malen. Das kann nur ich als Segler."

Aber selbst für den beidhändig malenden Gesamtkunstwerker Attersee, dem - wie Wursthäute, Briefmarken oder Weinettiketten - nichts zu klein und - wie die 4300 Quadratmeter große Don Giovanni-Malinstallation am Wiener Ringturm zum Ausklang des Mozartjahres - nichts zu groß ist, war das, was er dem Standard zum 20. Geburtstag schenkte, ein waghalsiges Experiment: Die ganze Nacht stand er an den Druckmaschinen, um buchstäblich jedes Titelblatt der Jubiläumsausgabe in ein Kunstwerk zu verwandeln, indem er 25.000-mal zehn Motive zum Thema "Adam und Eva lesen den Standard" variierte. Jede Ausgabe ein Unikat.

Und typisch Attersee, irgendwie, der in den 1960er-Jahren voll Lust und Ironie den Kunstbegriff sprengte: "Ich bin eine Bildmaschine. Ich bin Kino, ich bin Musik, ich bin Malerei, ich bin Theater. Ich bin ein Schauspieler der Malerei" sagt er und resümiert folgerichtig und frei von falscher Bescheidenheit: "Ich bin einfach ein sehr guter Künstler." Das war er schon mit sechs: Da gewann der kleine Christian Ludwig, der 1940 in Pressburg geboren wurde und dessen Familie 1944 nach Oberösterreich übersiedelte, einen Zeichenwettbewerb der amerikanischen Besatzer.

In den 1960ern erfand er das Attersteck und den Würfelbüstenhalter, posierte mit Spiegeleihöschen und der Zierprothese A aus Attersees Prothesenalphabet und verschreckte das Bürgertum mit der Ankündigung, zur Vernissage einen Dackel auf doppelte Größe aufzublasen. Doch nie ging es ihm bei seinen Aktionismen um Destruktion, sondern darum, das Leben zu feiern: "Mich interessiert weder das Geldverdienen noch der Welterfolg. Meine Kunst kommt nicht aus der Kunst, sondern aus dem Leben."

Vor dem Sterben hat der immerjunge Attersee keine Angst, warum auch, das ganze Leben sei ja nichts anderes als eine innere Sehnsucht nach dem Tod: "Ich lebe ewig bis zu meinem Tod. Und manchmal" , sagt Christian Ludwig Attersee, "manchmal lege ich mich hin und sage: Jetzt möchte ich gern sterben, weil ich gerade danach aufgelegt bin - gut aufgelegt, um zu sterben. Aber dann denke ich mir: Das Leben ist eh so kurz. Das hältst du schon durch." (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 28./29. August 2010)