"Komme mir vor wie eine unerwünschte Person" – Olga Neuwirth, von Hausherrenwillkür in den Zustand der Unbehaustheit getrieben, derzeit auf dem Weg nach New York.

Foto: Standard/Robert Newald

Die Geschichte eines Scheiterns an den Gepflogenheiten der "Wohnhausdiktatur" in Wien als Ouvertüre zu einer neuen STANDARD-Kolumne.

Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frisst. Nur dadurch lebt der Mensch, dass er so gründlich vergessen kann, dass er ein Mensch doch ist."

Das zweite Finale der Dreigroschenoper von Brecht/Weill sagt – heute genauso wie damals, 1928 – sehr viel über die Umgangsweisen von Menschen miteinander aus. Mir fällt auf, dass auch hier in Österreich Menschen Menschen gegenüber immer häufiger ans Äußerste gehen, weit über das Nötige hinaus. Es scheint keine Dialoge, keine Grenzen mehr zu geben. Hauptsache man schlägt auch noch das kleinste bisschen an Vorteil heraus und fühlt sich kurz mächtig. Demokratie beginnt aber schon zwischen zwei Menschen. Stecken Menschen ihre Energie nur mehr in die Maximierung des materiellen Eigennutzes? Seltsame Befriedigung.

Dabei wäre es doch viel schöner, wir würden Pablo Nerudas Ausruf "Cronopien aller Länder, vereinigt Euch!" nachkommen. Diese Cortázar'schen kleinen grünen Wesen, die zwar undefinierbar sind, sich aber durch schönste Humanität und Weltfrömmigkeit auszeichnen, eine uralte Erfahrung haben und gleichzeitig kindhaft unberechenbar sind. Warum können nicht diese Eigenschaften unser Vorbild sein, anstelle von Abwürgen und Anfallen? Wollen wir nicht gegen die gläsernen Ziegel anleben? Ernste, herzliche Stimmen, lächelnd und ermunternd!

In der Unbehaustheit, in der ich nun stecke, da mir der wichtigste Teil meines täglichen Lebens genommen wurde, nämlich eine Wohnung, kommt man auf solche Gedanken. Ich habe einem stets schmollenden Hausherren naiverweise geglaubt, dass er mir nach drei Jahren Befristung tatsächlich einen unbefristeten Vertrag geben würde, wie er mir eindringlich versprochen hatte. Ich habe aus seinen scheinfreundlichen Kurzsätzen einen falschen Schluss gezogen. Muss man auf allen Ebenen des Lebens stets misstrauisch sein? Für das Zusammenleben sicherlich nicht gut, aber als Überlebensstrategie wohl notwendig, damit man nicht ständig über den Tisch gezogen wird.

Ich kam mit meiner Bibliothek, vielen Noten und CDs aus Berlin und wollte in Wien ein Zuhause aufbauen. Ich stand ihm (warum auch immer) im Weg und wurde deswegen abgefertigt – trotz brav pünktlich bezahlter hoher Miete. Den wahren Grund der Abneigung hat er vor nicht all zu langer Zeit nicht mal verschleiert: "Freischaffend, Frau und Künstlerin – da kann man nie wissen".

Derjenige, der nach mir einzog, ist freischaffender Designer, aber ihm gab er einen unbefristeten Vertrag. Wird einem in diesem Land so der Unterschied zwischen Mann und Frau gezeigt? Mein stilles Dasein – meine Nachbarn riefen oft an, um zu sehen, ob ich überhaupt da war – und die per Dauerauftrag eingezogene Miete waren ihm zu wenig. Ganz im Gegenteil, er sekkierte gerade mich, die Einzige im Haus, der er einen befristeten Vertrag gegeben hatte.

Nach den drei Jahren, in denen er sehen wollte, ob ich keinen Lärm machen würde, was ich im Unterschied zu vielen anderen im Haus nicht tat, hat er sein Wort nicht gehalten. Es war alles nur hohles Gerede, um mich für seine Zwecke zu ködern. Und was war in all den Jahren mit seinen Pflichten als Hausherr? Der alte Lift ("Wiener Aufzug", wie mir von ihm erklärt wurde, als ich wegen eines Unfalls nicht gehen konnte, "geht nur nach oben"), wurde z. B. nicht ordnungsgemäß gewartet, so dass vor zwei Monaten das Seil gerissen ist.

Da dies nun schon mein zweiter Versuch war, in Wien Fuß zu fassen, komme ich mir vor wie eine unerwünschte Person, die nicht würdig ist, Wien zu bewohnen. Beim ersten Mal (1999), als ich einen unbefristeten Vertrag hatte, wurde ich mit anderen Mitteln hinausgeekelt, nämlich so: Der neue Hausherr hatte alle Mieter mit Geld aus dem Haus gelockt, bis auf mich letzte Widerspenstige, die nicht zu korrumpieren war, weil ich die Wohnung im letzten Stock nicht aufgeben wollte. Daher wurde zu Zermürbungsmaßnahmen gegriffen: Lampen aus dem Stiegenhaus schrauben, die schönen alten geschliffenen Fenster zerschlagen, Haustüre aushängen, bis die einzigen Wesen, denen ich auf der Stiege zur Wohnung noch begegnete, Ratten waren. In kürzester Zeit wurde das Haus unbewohnbar gemacht – bis auch ich aufgab und dafür natürlich kein Auszugsgeld bekam, da ich mich zuerst geweigert hatte zu gehen. Durch die Wiederholung kommt das Gefühl auf, in Wien eine "displaced person" zu sein. Was muss man tun, um ein geeigneter Mieter für Hausherren zu werden? Und kaum hat man keine Wohnung mehr in einer Stadt, fühlt man sich auch gleich als Fremde.

Und, eine Stelle in Michael Moores letztem Film paraphrasierend, frage ich mich: "Warum wollen wir Demokratie in der Politik, aber Diktatur in Wohnhäusern ..."? Wie ist es möglich, dass Hausherren in Wien solch uneingeschränkte Macht erlangen konnten in den vergangenen zehn Jahren?

Mit diesen permanenten Umbesetzungen, Neuvermietungen aus Ressentiment und Raffgier können in Häusern auch keine nachbarlichen Beziehungen wachsen, was auf sozialer Ebene betrüblich ist. Auch würde man gerne in seine Wohnung investieren, um die Substanz der Wohnung zu verbessern, wenn man wüsste, dass man bleiben kann. Ist das nicht alles kurzsichtig?

Es klingt wie ein Hohn, schöne Worte über die gute Qualität des "Wiener Wohnens" zu hören und zu lesen. Für wen? Aber auch immer wieder über die wachsenden Probleme der immer teurer werdenden Mieten in Wien. Heute gerade wieder: Ein Hauptgrund für die gestiegene Inflation in Österreich sind die hohen Mieten. Die Kluft zwischen Gerede und Taten, zwischen Sein und Schein ist zu groß geworden. Ja Cronopien, wo seid ihr denn?

Den wenigen Menschen, die mir beim anstrengenden, zermürbenden Auszug aus der Wohnung geholfen haben, freundlich und hilfsbereit waren, danke ich so herzlich, als hätte ich das Zauberwort für eine Schatzhöhle erfahren. Freunde haben mich übergangsweise in ihr Haus aufgenommen. Skurril für mich ist, dass es ein Haus ist, in dem Beethoven gelebt und gearbeitet hat. Er musste auch ständig umziehen in Wien. Dafür läuten nun häufig Japaner und wollen das Privathaus besichtigen. Bald werde ich mir eine Beethovenperücke aufsetzen und die Pastorale hinausträllern, wenn wieder geläutet wird ... – Dieses Haus scheint mir allerlei Fragen einzugeben wie: Hat sich das Bild vom Komponisten in diesem Land je geändert? Wurde ich bestraft, dass ich heuer zum Lippizaner gekürt wurde?

Sich als mehr oder weniger guter Mensch zu fühlen ist nicht sehr überzeugend, aber darum geht es nicht. Vielleicht ist man ein Außenseiter und nimmt diese Rolle als Identität an, wenn man die übertriebene Leistungsorientierung der Mittelschicht ablehnt und sich dem Sozialdarwinismus entziehen möchte. Man wird dafür belächelt und auch als "unfähiger Zeitgenosse" behandelt. Ein positiver Versager (wie Herman Melville, der von den meisten Kollegen, Freunden und Verwandten als Versager geschnitten wurde und über den mein neues Musiktheater handelt), der im Geistigen das gewinnt, was er materiell verliert? Übersetze ich das unfreiwillige Nomadendasein nach außen, indem ich über das Innere schweige und es als ironisierende Reisende umschreibe wie Melville es z. B. mit der Beschreibung der Kykladen tat? Um so über den eigenen Zustand hinwegzukommen: "Die Ersteren wirken erschöpft und sind ausgemergelt, wie das Leben, dem die Begeisterung abhandengekommen ist"?

Vielleicht entscheiden aber sowieso die Kindheit und die Familie darüber, ob jemand im Leben vorankommen will oder nicht, scheitert oder nicht. Oder ist es einfach so, dass wirklich ein Mensch zu sein bedeutet, die schmerzhaftesten Grenzen zu akzeptieren und zu hoffen, dass die, die diesen Grenzen entfliehen, eine illusionäre, selbstverneinende Freiheit erleben?

Ich schreibe das alles, da das Wohnen in Wien für viele ein universales, existenzielles Thema geworden ist. Es ist nicht nur mein Problem.

Das einzig Positive am Auszug war für mich die Fahrt durch Wien ins Magazin mit dem großen Lkw und den netten Möbelpackern der Firma Stark, die sich in der Sommerhitze stundenlang abgeschleppt hatten. Als die starken Herren all meine Habseeligkeiten im Container eingestellt hatten, fühlte ich mich wie sinnloser Junk, ging zu einer der Fastfood-Ketten, bei denen mir nach dem Verzehr immer schlecht wird, und: mampf! Schnell einen Biss in einen riesigen mayonnaisetriefenden Burger, meine schützende Restausstattung in der Hand, nämlich so etwas wie Linus' Schmusedecke. Fuhr hirnentleert ins Haus meiner Freunde und dachte an das Cronopium, das eine Blume pflücken wollte, darin aber eine unnötige Grausamkeit erkannte. Sich zu ihr hinkniete, sie liebkoste, zur Ruhe kam und einschlief. Und die Blume dachte: "Es ist wie eine Blume" ... und ich hoffe auf meine "neue Zeit" in Manhattan, wo ich künftig wohnen werde. (Olga Neuwirth, DER STANDARD – Printausgabe, 28./29. August 2010)