Wegen heftiger Leserdiskussion noch einmal das Thema: Wie sollen Muslime im 21. Jahrhundert in Europa ihre Religion ausüben? In meiner Kolumne vom 25.8. wurde die Forderung des scheidenden Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Anas Schakfeh, thematisiert, mittelfristig solle es in jeder österreichischen Landeshauptstadt eine „von außen als solche erkennbare „Moschee geben, mit Kuppel und Minarett“. Daran schlossen sich Überlegungen, warum und ob Muslime im 21.Jahrhundert auf den Bauformen des 16. Jahrhunderts – Zeit der größten Machtentfaltung des Islam im Ottomanischen Reich – bestehen sollen.

Ein Aspekt von Schakfehs Äußerung blieb unbehandelt: Es gibt in Österreich und in ganz Europa vielleicht Institutionen mit dem Titel „Islamische Glaubensgemeinschaft“, aber es gibt keine echte „Gemeinschaft“. Es gibt Sunniten, Schiiten, Aleviten (die von den Sunnis gar nicht als echte Moslems angesehen werden) und es gibt vor allem türkisch dominierte und arabisch dominierte Glaubensgruppen. Und die beten gewiss nicht alle in einer Zentralmoschee. Damit sind wir wieder bei der Frage, ob sich aus einem Baustil eine Ideologie und/oder ein Machtanspruch ableiten lässt. Die Antwort ist nicht leicht, aber es ist argumentierbar, dass die Beibehaltung eines historisierenden Stils nach den herrlichen Vorbildern der osmanischen Großmoscheen aus dem 16.Jahrhundert (Sultan Ahmet und Süleymanye in Istanbul, Selimiye in Edirne), etwas mit einer beharrenden Mentalität zu tun hat. Die aber ist nach Meinung ernsthafter Islam-Forscher und auch muslimischer Intellektueller das größte Problem der muslimischen, vor allem arabischen Gesellschaften und ein Rezept für Rückständigkeit (sehr instruktiv dazu Dan Diners Buch „Die versiegelte Zeit“ und der UNDP-Report on Human Development on Arab States 2002).

Bis 1900 schwelgten auch die christlichen Kirchen(neu)bauten im Historismus – siehe in Wien die neogotische Votivkirche, von Touristen oft mit dem Stefansdom verwechselt. Auch die europäischen Großsynagogen der Zeit um 1900 hatten eine „orientalisierende“ Architektur. Mit dem Anbruch des klassischen Moderne entstanden aber völlig neue Formen des christlichen Kirchenbaus (Le Corbusier im französischen Ronchamp, nach 1945 die Wotruba-Kirche in Wien). Die Synagoge von 1930 im deutschen Plauen (sie existiert nicht mehr) war reines Art Deco; die neue Hauptsynagoge in München, kürzlich erst eröffnet, ist ebenso wie die 2001 erbaute in Dresden eine „abstrakte“ Kubenkonstruktion.

Es gibt auch moderne Moscheen, übrigens mit Minarett wie die im deutschen Plenzberg. Aber die großen Signalbauten historisieren: Die Zentralmoschee der vom türkischen Staat beherrschten Ditib in Köln hat eine klassische Kuppel und zwei Minarette (55 m hoch). Die Grand Mosque in Paris dagegen hält sich eher an den frühen arabischen Stil mit freiem Innenhof. Es gibt auch Kompromisse wie die in Telfs und Bad Vöslau mit gestutzten Minaretten; die sind einfach banal. Man kann somit sagen, dass christliche wie jüdische Sakralbauten seit dem Beginn der klassischen Moderne vor rund 100 Jahren zu zeitgenössischen Stilformen gefunden haben; die moslemischen seit Beginn der intensiven Einwanderung in Europa in den 50er-Jahren nicht oder in viel geringerem Ausmaß. Das kann/ muss zumindest ein Ansatz sein für eine Debatte, die das Recht auf angemessene Reli_gionsausübung nicht in Frage stellt, aber auch an die Muslime die Frage stellt, ob sie im 21. Jahrhundert leben wollen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, Printausgabe, 28.8.2010)