Gitarrist Terje Rypdal und Kollege Palle Mikkelborg reisten mit einer Big Band in die 1970er-Jahre und vermählten die Rockemphase mit kühlem, flächigem Jazz.

Foto: Jazzfest Saalfelden

Saalfelden - Könnte man mit dem Tod ins Gespräch kommen, man würde ihm einige vorwurfsbeladene Fragen - die Musikgeschichte betreffend - nicht ersparen. War es nötig, Junggenies wie Mozart oder Hendrix so früh abzuberufen? Hätte man nicht Amadeus das Requiem fertigschreiben lassen können? Und hätte man nicht Hendrix noch etwas Zeit schenken müssen - es war doch dieses Projekt mit Gil Evans geplant, dem Meisterarrangeur des kühlen Jazz, der für Miles Davis und dessen Melancholie so magische Bigband-Räume geschaffen hatte.

Da es bedauerlicherweise weder eine Telefonnummer noch eine E-Mail-Adresse gibt, um entsprechend zornige Fragen anzubringen, bleibt einem nichts anderes übrig, als ab und an recht spekulativ in Projekten sich guter Gesundheit erfreuender Zeitgenossen die Umsetzung etwa auch dieser leider verhinderten Begegnung zwischen Jazz und Rock zu entdecken.

Dass beim Jazzfestival in Saalfelden an die reizvoll anmutende Kollaboration Evans/Hendrix gerade beim pathetischen Gitarrenorpheus Terje Rypdal zu denken war, ist natürlich eine lustige Pointe. Der für seine opulenten Soundfantasien bekannte und berüchtigte Norweger versammelte jedoch nicht nur eine Bigband, jene aus Bergen, um sich. Er besann sich auch (zusammen mit dem souveränen Trompeter Palle Mikkelborg) und gar nicht kitschig jener rockigen Gitarrenereignisse der 1960er-Jahre. Zunächst gab es zwar Momente, da es schien, die Bigband sei nur mitgekommen, um auf der Bühne zu urlauben und andächtig zu lauschen. Wie das Kollektiv dann aber munter wurde und immer wieder sanfte Flächen auszubreiten begann, welche an die delikate Handschrift von Evans gemahnten, schien genau jenes durch Hendrix' Abberufung unterbundene Treffen nachgebaut zu werden.

Der besondere Reiz dieser Konstellation erschöpfte sich natürlich nicht in einer vermeintlichen Nachstellung verhinderter Historie. Es war die Wendigkeit, mit der die effektvolle Organisation von Gruppenenergien auch die Befreiung individueller Kräfte ermöglichte, die Glanzvolles, da eben Unvorhersehbares, ermöglichte.

Zweifellos hätte stilistisch auch Gitarrist Raoul Björkenheim den Veteranen Rypdal ersetzen können. Etwas abstrakter im harmonischen Ansatz als der Kollege, setzte der in den USA geborene Finne im Trio auf recht ausufernde Monologe, bei denen man auch an den wilden Jimi denken konnte. Die Dauerexpressivität der Soli blieb aber von der disziplinierenden Strukturkraft einer Komposition eher unbelästigt, weshalb sich eine unangenehme Musikermüdung einstellte. Auch Bassist William Parker und Drummer Hamid Drake, Spezialisten des Impulsiven, konnten da nichts Hilfreiches ausrichten.

Zu viel Freiheit

Die gute alte Erkenntnis bewahrheitete sich wieder einmal: Es macht mehr Sinn - und das zeigte das insgesamt hohe Projektniveau des diesjährigen Festivals, das Landeshauptfrau Gabi Burgstaller diesmal mit einigermaßen unpeinlichen, aufmunternden Worten eröffnet hatte -, die Freiheit des Solisten durch notierte Strukturen etwas einzugrenzen. Das ungebremste Wuchern instrumentaler Freiheit führt doch eher in die Leerlaufsackgasse.

Keine Spur davon bei Pianistin Myra Melford und ihrem am freien Spiel orientierten Be Bread Sextet; ebenso beim ein komplexes Ensemblegebäude errichtenden Geiger Dominique Pifarely. Besonders aber konnte man froh sein, dass die Begegnung zwischen Geigerin/Sängerin Carla Kihlstedt und Pianistin Satoko Fujii auf Basis erarbeiteten Materials stattfand. Da gab es doch einige allzu bedeutungsvoll vermittelte improvisatorische Nichtigkeiten, die erst im wohldurchdachten kompositorischen Kontext Sinn erlangten. In Summe überzeugend subjektiv.

Was man in Saalfelden auch wieder hörte: Alle Stilgeschichten scheinen längst erzählt, der Suche nach Neuem wird immer noch die individuelle Abwandlung des Altehrwürdigen vorgezogen. Saxofonistin Ingrid Laubrock etwa implantiert ihrem Projekt Anti House Charme durch eine smart durcharrangierte Verrückung von Bausteinen des Mainstreams. Das ergibt subtile Momente und verhindert das Buchstabieren von Klischees. Wie auch bei Franz Hautzinger und Third Eye: Im Quintett hat der Trompeter eine subjektive Befragung von Jazzgeschichte in Form schwebender, manchmal knackiger Pointen durchgeführt. Eine filigrane Angelegenheit, der man allerdings eine weitere rhythmische Ebene gewünscht hätte, die Hautzingers Elegien intensiver am Köcheln gehalten hätte.

Eine nur nett-normale Bigband-Sache lieferte leider das Expolding Star Orchestra ab. Wobei: Wäre Trompetendoyen Bill Dixon (wie geplant) dabeigewesen - wer weiß ... Auch hier hatte es allerdings der Tod eilig. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD - Printausgabe, 30. August 2010)