Leidenschaft und Akribie prägen das Miniatur-Wunderland in der Hamburger Speicherstadt. So entdeckt der Besucher bei genauer Betrachtung ein Paar im Sonnenblumenfeld.

Foto: Miniatur-Wunderland

Anreise: Flug Wien- Hamburg-Wien: zum Beispiel mit Austrian ab 90 Euro. Oder mit der Bahn.

Unterkunft: Hotel www.side-hamburg.de, 5* Designhotel, gute Lage, freundlicher Service, tolle Terrasse: ab 70 Euro pro Person im Doppelzimmer: Drehbahn 49, 20354 Hamburg, Tel.: +49/40/30 99 90,Fax: +49/40/30 99 93 99

Restaurant: Man Wah, Spielbudenplatz 18, chinesische Küche, Blick auf das nächtliche Geschehen in der berühmten Esso-Tankstelle an der Reeperbahn.

Rive, Van-der-Smissen-Straße 1, schickes Fischlokal mit Terrasse zum Containerhafen.

Foto: side-hamburg.de

Miniatur-Wunderland: Die Ausstellung ist an 365 Tagen im Jahr geöffnet, die Öffnungszeiten divergieren nach Wochentag und Saison. Infos und Videos.

Beste Besuchszeit: sehr früh oder noch besser abends (Dienstag und Samstag ist bis 21 Uhr geöffnet). Unbedingt online reservieren, sonst kann die Wartezeit auch mehrere Stunden dauern. Beste Monate: November oder Februar. Eintrittspreise: Kinder unter einem Meter in Begleitung eines Erwachsenen: frei; Kinder unter 16 Jahren: fünf Euro; Erwachsene: zehn Euro. Adresse: Kehrwieder 2-4, Block D, 20457 Hamburg-Speicherstadt

Foto: Miniatur-Wunderland

Die Erde ist doch eine Scheibe. Wer wüsste das besser als die beiden Nonnen, die am Rand der Welt sitzen und die Beine ins Nichts baumeln lassen. Alle fünfzehn Minuten senkt sich die Nacht auf die chillenden Klosterfrauen. Zuerst dämmert es leicht, dann verdunkelt sich der Horizont. An die 300.000 Lämpchen schalten sich automatisch an und tauchen die ganze Welt in eine funkelnde Nachtkulisse.

Möglich sind diese Besonderheiten der Natur im MiniaturWunderland, der größten Modelleisenbahn der Welt, täglich zu besichtigen in der Speicherstadt des Hamburger Hafens. Die Nonnen sind nur fünf Zentimeter groß, und ihre Erde besteht aus den Abschnitten Österreich, Harz, Hamburg, Amerika, Skandinavien, Schweiz und der fiktiven Stadt Knuffingen. Auf mehr als 1000 Quadratmetern kurven zirka 830 Züge durch Stadt und Land, manchmal sogar transkontinental oder die Alpen hoch, rein in die Tunnel und wieder raus. Alles im Maßstab 1:87.

Die Nonnen gehören zu den skurrilen und liebevollen Details, die im Miniatur-Wunderland an jeder Weiche und an jeder Schranke anzutreffen sind. Man bemerkt, dass alle Mitarbeiter mit Leidenschaft, aber auch wohl dosierter Ironie an der Arbeit sind. Muss man als Kind eine Modelleisenbahn gehabt haben, um hier arbeiten zu können? "Ich selbst hatte nie eine, aber es gab die meiner großen Brüder - an der ich aber, wenn überhaupt, zerstörend mitwirkte", sagt Sebastian Drechsler, verantwortlich für Marketing- und Pressearbeit. Seine älteren Brüder sind die Geschäftsführer Frederik und Gerrit Braun. Die Zwillinge setzten ihre Idee, die "größte Modelleisenbahn der Welt zu bauen", im August 2001 in die Tat um. Sieben Jahre später begrüßten sie bereits mehr als fünf Millionen Besucher.

Diese können sich an der Freude am Detail kaum sattsehen. So tanken die Bewohner von "Knuffingen" an der kleinsten Tankstelle Deutschlands. Nicht nur, dass ein Tankwagen regelmäßig vor den Augen der Besucher Benzin liefert, nein, auch die aktuellen Treibstoffpreise überträgt eine benachbarte Jet-Tankstelle aus der realen Welt elektronisch auf den Minipreismast.

Ja, es düsen hier auch mehr als 5000 Autos über die Straßen. Sie bleiben zwar brav bei rot leuchtenden Ampeln stehen, blinken ordnungsgemäß, bevor sie abbiegen, aber die Anhäufung von Verkehrsunfällen und Feuerwehreinsätzen ist im Miniatur-Wunderland schon auffallend hoch, was aber weniger der Leichtfertigkeit der Bewohner zuzuschreiben ist als dem guten Effekt von Folgetonhörnern und Blaulicht.

Im Abschnitt Österreich, wo sich Tonnen von Gips zu den Alpen auftürmen, steht auch ein Hochsicherheitsgefängnis. Da versuchen inhaftierte Wunderländer über einen Steilhang auszubrechen. Die Einsatzkräfte sind bereits vor Ort (Blaulicht!), und jeder Besucher kann per Knopfdruck die Suchscheinwerfer aktivieren. Sonst ist Österreich aber gewohnt idyllisch mit entzückenden Skiliftanlagen.

Nebenan in der Schweiz lädt DJ Bobo zu einem Konzert. In der Menschenmenge vor der Bühne funkelt das Blitzlichtgewitter der Fans, auf den Vidi-Walls seitlich laufen Aufnahmen eines realen Auftritts des Sängers. Ein Fan ist in Schwierigkeiten. Er wollte sich auf die Dixi-Klos stellen, um besser zur Bühne zu sehen, ist dabei aber durch das Dach eingebrochen.

Wer mit einem Operngucker die Ausstellung besucht, oder eine der stündlichen Führungen "Hinter den Kulissen" bucht, sieht mehr. Neben den Schattenbahnhöfen, wo die unermüdlich ratternden Züge nach jeder Run-de verschnaufen und abkühlen dürfen, ertappt man auch Paare, die, kaum versteckt hinter Tannen (Hardcore!) oder in Sonnenblumenfeldern (Softcore!), der körperlichen Liebe frönen. An einer Stelle sind es sogar drei Personen.

Tja, die Liebe zum Detail. Im Abschnitt Hamburg steht natürlich auch die Speicherstadt. Blickt man durch eines der winzigen Fenster, sieht man ein Miniatur-Wunderland im Miniatur-Wunderland. Dort dreht die kleinste Eisenbahn der Welt (Maßstab 1:900) ihre Runden. Ob es da drin auch wieder ein Modell der Speicherstadt gibt? (Peter Fuchs/DER STANDARD/Printausgabe/28.08.2010)