Foto: Czernin

Wer hat sie nicht präsent, die Bilder zur Angelobung der Schwarz-Blauen Regierung unter Wolfgang Schüssel? Wer erinnert sich nicht an die tausenden DemonstrantInnen am Ballhaus- und Heldenplatz? An die Regierung in spe, die - eine Premiere in der Geschichte der Zweiten Republik - nur durch einen unterirdischen Gang zur Angelobung in die Präsidentschaftskanzlei gelangen konnten? An die versteinerte Miene des damaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil? Zehn Jahre nach der Angelobung von Schwarz-Blau I ziehen AutorInnen unterschiedlicher Provenienz Bilanz: Sie erinnern das Jahr 2000 und reflektieren über die konkreten Auswirkungen schwarz-blauer Politik.

Konsequenzen der "Wende"

Der von Frederick Baker und Petra Herczeg herausgegebene Band versammelt insgesamt 26 Beiträge, in denen "nicht primär Pros und Contras dieser zehn Jahre abgewogen und gegenübergestellt" werden, wie die HerausgeberInnen in ihrem Vorwort betonen. Vielmehr gehe es in den Essays, Reden und Interviews darum zu fragen, welche längerfristigen Folgen die so genannte "Wende" für Österreich hatte. Den Konsequenzen schwarz-blauer Politik wird dabei in unterschiedlichen Bereichen nachgespürt: im Fremden- und Asylrecht, im Bereich der Frauen- und Familienpolitik, der Sozialpolitik, der Kulturpolitik und nicht zuletzt auch in der österreichischen Gedächtniskultur.

Was rechtens ist

So setzt sich beispielsweise Elfriede Jelinek exemplarisch anhand des Falles der Familie Zogaj kritisch mit dem österreichischen Asylrecht auseinander. In bester Jelinek'scher Manier kritisiert die Nobelpreisträgerin die Vorgehensweise von Innenministerin Maria Fekter bei der Ausweisung der Familie Zogaj, indem sie Aussagen der Innenministerin aufgreift, diese verfremdet und in ihren Text montiert: "Das ist die Aufgabe der Politik, die wählende Bevölkerung, die zu einem Drittel rechtsextrem gewählt hat, zufriedenzustellen", denn "auf die lieben Rehaugen der 17-jährigen Arigona können wir nicht achten, wenn wir Ministerin sind." . Und bereits im Titel, "Recht muss Recht bleiben", zitiert die Autorin einen der bekanntesten und auch umstrittensten Aussagen Fekters zur "Causa Zogaj".

"Jahrzehnt kultureller Verblödelung"

Den Auswirkungen schwarz-blauer Kulturpolitik widmet sich der Medienforscher Konrad Becker der in seinem Beitrag konstatiert, dass im Jahr 2000 in Österreich ein „Jahrzehnt kultureller Verblödelung" begonnen habe. Die so genannte "Wenderegierung" habe im Bereich Kunst, Kultur und Medien vor allem eines gebracht, nämlich „vielfältige Repressionen gegenüber neuen und experimentellen Praxen" - zugunsten eines "Rollbacks einer bürgerlichen Ästhetik der Vergangenheit".

"'Naziland' Österreich"

Die Historikerin Heidemarie Uhl setzt sich in ihrem Beitrag mit den "Transformationen der österreichischen Gedächtniskultur seit 2000" auseinander. Die schwarz-blau Regierung habe es, so Uhl, verabsäumt, die Gedenkjahre 2005 und 2008 dazu zu nutzen, "einer offiziellen Erklärung zur Mitverantwortung an den NS-Verbrechen" und dem "Abschied von der Opferthese" Ausdruck zu verleihen. Stattdessen habe man im Gedenkjahr 2005 das „konfliktträchtige Datum 1945 - Besetzung oder Befreiung - durch die Fokussierung auf das Staatsvertragsjahr 1955 umschifft". Beim Umgang mit der Vergangenheit im "'Naziland' Österreich" ortet die Historikerin schließlich nach wie vor Handlungsbedarf. (Meri Disoski, 29. August 2010, daStandard.at)