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Frigga Haug ist Herausgeberin der Zeitschrift "Das Argument".

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Sich auf die Spuren und Fährten nach Stärken von Frauen zu begeben, gleicht der Suche nach dem Gral, schreibt die Philosophin und Soziologin Frigga Haug in ihren Werkstattnotizen zur neuen Ausgabe der Zeitschrift "Das Argument". Nicht, dass es diese Stärken angesichts der Jahrhunderte langen Festschreibung der Schwächen von Frauen nicht aufzufinden gäbe, doch ihre Erörterung erweise sich als Gratwanderung durch unterschiedlichste Kraftfelder. Vom Spiegel der gängigen Diskurse geht die Suche nach individuell starken Frauen durch Erfahrungen und Praxen des weiblichen Geschlechts zu Fragen des Gemeinwesens, um schließlich zu dem Punkt zu kommen, an dem "Selbstveränderung und Veränderung der Umstände in eins" fallen.

"Frauen, das schwache Geschlecht". Theologen, Philosophen, Ärzte und andere Wissenschafter predig(t)en seit Jahrtausenden die ewig gleiche Leier. Doch wie schaut es im heutigen Diskurs eigentlich mit der "weiblichen" Stärke aus? Wenn Frigga Haug die "Stärken von Frauen" unter die Lupe nimmt, sieht sie sich mit einigen Problemen konfrontiert. Denn der Begriff zeigt sich nicht nur subjektiv ambivalent besetzt und historisch-ideologisch vor allem im Faschismus zu Herrschaftszwecken missbraucht, er ist auch "tagespolitisch als Klage von Männern gegen das Eindringen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt medial ausgeschlachtet", schreibt sie.

Seit Jahren behaupten verschiedene Medien, dass Frauen gesellschaftlich im Vormarsch seien, ja mancherorts sogar, dass sie die Macht bereits ergriffen hätten. Wenn jedoch schon das Auftauchen einzelner Frauen auf entscheidenden Posten als allgemeines Signal weiblicher Machtergreifung gedeutet wird, so sei dies ein Indiz dafür, dass es um die gesellschaftliche Definition von Frauenstärke nicht gut bestellt ist.

Weg von der Opferhaltung und Schwäche

Obwohl die Gleichstellungspolitik notwendigerweise auf die vielfältigen Benachteiligungen von Frauen antwortet, erweist sich der Prozess der Veränderung bekanntlich als unendlich langsam. Daher erscheine es nötig, die andere Seite der Medaille zu untersuchen. Also jenseits des Diskurses, dass Frauen "Opfer der Verhältnisse und der Männer sind", von dem zu sprechen, was Frauen können, was ihre Stärken ausmacht. Es gehe um die Suche nach politischen Praxen von Frauen, schreibt Haug. Denn nur diese seien Voraussetzung für Veränderung.

Sie nimmt Anleihe bei Virginia Woolf, die in ihrem Essay "Drei Guineen" (1938) zu dem Schluss gekommen ist, dass nichts gewonnen wäre, lebten die Frauen den Männern gleich, weil sie sich so unweigerlich dem "Tanz ums Eigentum" anschließen würden. Woolf ortete die Stärken der Frauen dort, wo sie als Gattungssubjekt in der kapitalistisch-patriarchalischen Gesellschaft nicht zum Zuge kommen. "Aus tradierter Geringschätzung des Weiblichen zieht sie die Möglichkeit, durch Karriere und deren äußere Zeichen nicht bestechlich zu sein und aus der Freiheit, Macht nicht repräsentieren zu sollen, schließt sie auf eine Haltung, die von Nationalismus, Chauvinismus nicht einzunehmen ist, die gegen 'Überheblichkeit, Egoismus und Größenwahn gefeit ist'", fasst Frigga Haug Woolfs Ausführungen zusammen.

Aus der Marginalisierung von Frauen über Jahrhunderte ein Potenzial für Soziales zu denken bzw. aus der Position der Schwäche heraus den Stoff für eine alternative Gesellschaft zu gewinnen, diesen Standpunkt vertrat auch Jean Baker Miller in ihrem Buch "Die Stärke weiblicher Schwäche" (1976). Die amerikanische Psychoanalytikerin sah in den Frauen entscheidende Stärken verkörpert, welche die heutige männlich-orientierte Gesellschaft bisher nicht erkannt hat: eine schöpferische Kraft, die von lebensnotwendiger Bedeutung für das gesamte Gesellschaftssystem sein könnte. Bindungen eingehen und die Bereitschaft zu intensiver Zusammenarbeit seien solche Stärken, denn das "Schicksal unserer Welt" würde sich in den Beziehungen der Menschen untereinander entscheiden.

Zusammenhalt auf die Gesellschaft übertragen

Die Bindungsfähigkeit und das Stiften von Zusammenhalt, das Frauen aufgrund ihrer "Schwäche" zu Stärken entwickelt haben, dürfe jedoch nicht auf kleine Gruppen wie die Familie beschränkt bleiben, um ihre Wirksamkeit zu entfalten, gibt Haug zu bedenken. Aus "care" müsse Solidarität werden und das Potenzial sich auf große Kollektive der Gestaltung erstrecken. Für die Gegenwart müsste, so Frigga Haug, gefragt werden, "ob und wie die in der Familie tradierte Haltung, Zusammenhalt zu organisieren, ins Große von Gesellschaft übertragbar ist".

Als Voraussetzung nennt sie die Notwendigkeit, allen Menschen genug Zeit einzuräumen, "Menschlichkeit, als Sorge für sich, andere und die Natur als Lebensbedingung zu entfalten. D.h. auch einen Rahmen zu schaffen, in dem die Einzelnen sich ungeachtet ihrer Verschiedenheit entwickeln können ... Fähigkeiten von anderen zu fördern, zu bejahen, zu unterstützen, statt sie gegeneinander zu richten. Strukturen zu schaffen, in denen das miteinander Kooperieren als alle bereichernd und genussvoll erfahren werden kann". Frauen könnten "solche Menschlichkeit" einklagen, schreibt Haug. Als Beispiel nennt sie die Forderung nach der sogenannten "Vier-in-einem-Perspektive": das Leben tendenziell so einzurichten, dass je ein Viertel der Erwerbsarbeit, ein Viertel der Sorge um die Reproduktion von Leben und Lebensbedingungen, ein Viertel der Selbstentwicklung und ein Viertel der politischen Gestaltung der Gesellschaft gewidmet ist.

Es gehe nicht darum, alle Frauen naturgegeben als stark zu denken, schließt Haug. Frauen könnten ihre Stärke aber dazu nutzen, zur Durchsetzung einer anderen Kultur beizutragen. "Solche Stärke wäre ansteckend und selbst Perspektive".

Ein altes Herrschaftskonzept im "neuen" Diskurs

So großartig Frigga Haugs Thesen auf den ersten Blick manch einer/m scheinen mögen, so kleinmütig erweisen sie sich bei genauerem Hinsehen. Die Forderung, Frauen seien dazu berufen, die Gesellschaft im Kleinen als auch im Ganzen zusammen zu halten und somit die Welt zu verbessern, sind weder neu noch fortschrittlich, sondern im Gegenteil obsolet und politisch nicht ungefährlich. Das kollektive Kleinhalten der Frauen als Gruppe, subsumiert unter dem Titel "schwaches Geschlecht" ist doch von jeher genau jenes Herrschaftskalkül, das deshalb aufgehen konnte, weil aus dieser "Schwäche" wesentliche soziale Attribute abgeleitet werden. Denn wenn diese für die Gesellschaft lebensnowendigen sozialen Fähigkeiten, die Unterdrückte unter anderem gerade aufgrund ihres Opferstatus ausbilden, für das Kollektiv fruchtbar gemacht werden sollen, gehen Frauen ein weiteres Mal den Herrschaftsstrukturen auf den Leim. Sie werden erneut geopfert. Was nützt es ihnen, wenn sie daraufhin anstelle von "schwach" als "stark", als Weltverbesserinnen tituliert werden?

Wenn also Frigga Haug meint, Frauen sollten "aus der Geschichte der Unterdrückung nicht bloß den Wunsch ... erben, nach oben zu kommen, selbst zu herrschen oder zumindest Nutznießerin von Herrschaft zu sein, sondern die große Aufgabe, die Welt wohnlich umzubauen, aus den Praxen in Unterdrückung das Beste nach vorn zu bringen und zu verallgemeinern", dann schießt sie sich selbst und alle Frauen ins Abseits. Frauen werden seit Jahrtausenden darauf trainiert, hilfreich und gut zu sein, sich aufzuopfern für andere, den Zusammenhalt und das Wohlergehen zu sichern. Währendessen werken die Herrschenden gegenpolig Bindungen und notwendige Zusammenhänge aufspaltend vor sich hin. Was soll daran neu sein?

Was unsere Gesellschaft global brauchen würde, ist nicht eine Ausweitung des Mutter-Teresa-Syndroms, sondern eine verantwortungsvolle und uneigennützige Teilnahme aller, besonders des "starken Geschlechts", der Männer. Dann müsste nicht mehr hochtrabend und nichtsbringend über Stärken und Schwächen philosophiert werden.
(Dagmar Buchta/dieStandard.at, 02.09.2010)