Berlin - Zwar liegt in Berlin nun ein Gutachten über längere Laufzeiten von Atomkraftwerken auf dem Tisch, die deutsche Bundesregierung kommt in dieser zentralen Frage aber dennoch nicht recht weiter. Am Wochenende hatte Kanzlerin Angela Merkel zum ersten Mal konkrete Zahlen bezüglich einer längeren AKW-Laufzeit verlauten lassen: "Fachlich zehn bis 15 Jahre ist vernünftig", sagte sie in der ARD.

Am Montag jedoch relativierte Regierungssprecher Steffen Seibert die Zahlen auch schon wieder. Merkel habe nur erklärt, was fachlich machbar sei, dies sei aber noch keine politische Entscheidung, da die Bundeskanzlerin gleichzeitig auf die Sicherheit der Anlagen als oberste Priorität hingewiesen habe.

Auch das von der Regierung angeforderte Gutachten wird in der Regierung unterschiedlich interpretiert. Dieses hatte untersucht, wie sich längere Laufzeiten für Atomkraftwerke auf die Energiekosten auswirken würden. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sagt, der größte volkswirtschaftliche Nutzen ergebe sich aus einer Laufzeitverlängerung von zwölf bis 20 Jahren.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hingegen meint, längere Laufzeiten hätten für künftige Strompreise "keine entscheidende Bedeutung". Röttgen ist ja der Meinung, eine Verlängerung von acht Jahren für die noch am Netz befindlichen 17 deutschen Atomkraftwerke sei allemal genug. Die Auswirkungen auf den Klimaschutz und den Strompreis wären bei längerer Laufzeit sehr gering.

Der deutsche Umweltminister hat jetzt eine neue Variante ins Spiel gebracht - sozusagen einen Atom-Ausstieg durch die Hintertür. Bei längeren Laufzeiten will er vorschreiben, dass alle Kernkraftwerke mit Baumaßnahmen gegen Flugzeugabstürze und Terroranschläge geschützt werden. Dies könnte ältere Meiler unrentabel machen, weil die Umbaumaßnahmen zu teuer wären.

Obwohl zahlreiche Punkte noch ungeklärt sind, will die deutsche Regierung am morgen, Mittwoch, im Kabinett über die vorgesehene Brennelemente-Steuer beraten. Diese soll jährlich 2,3 Milliarden Euro einbringen.

Grüne kritisieren Schüssel
Die deutsche Atomdebatte sorgt auch in Österreich für Gesprächsstoff. Die grüne Umweltsprecherin Christiane Brunner fordert Ex-Kanzler und Nationalratsabgeordneten Wolfgang Schüssel (VP) zum Rücktritt auf. "Es ist unvereinbar und untragbar, dass Schüssel im Aufsichtsrat des deutschen Energieriesen und AKW-Betreibers RWE sitzt, während es in Österreich einen Anti-Atom-Konsens gibt, der auch im Parlament immer wieder betont wird", sagt Brunner zum Standard .

Weil Schüssel von einer Laufzeitverlängerung der deutschen AKW profitieren würde, schweige die österreichische Regierung zu den deutschen Atomplänen. Dies müsse sich ändern. (bau, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31.8.2010)