Wien - In den Zellen der Jugendstrafanstalt Gerasdorf (NÖ) herrscht an sich ein strenges Mobiltelefonverbot. Jedoch soll ein 44-jähriger Arzt zahlreiche Insassen mit 30 bis 40 Handys versorgt haben, indem er diese - wie er am Dienstag in seinem Prozess im Wiener Straflandesgericht unumwunden zugab - an einer bestimmten Stelle über die Gefängnismauer warf. Die Jugendlichen konnten diese beim Spaziergang im Innenhof aufheben und in ihre Zellen schmuggeln.

Pornobilder als "Gegenwert"

"Ich habe gemerkt, wie einfach das ist, ein Handy ins Gefängnis zu bringen. Es ist ihnen mehr oder weniger vor die Füße gefallen", gab der Mediziner nun vor einem Schöffensenat (Vorsitz: Martina Hahn) zu Protokoll. Obwohl der Angeklagte betonte, "in meiner Haft die Isolation als äußerst dramatisch erlebt" zu haben, soll er einen "Gegenwert" eingefordert haben: Der 44-Jährige soll sich von zehn Burschen und jungen Erwachsenen per MMS pornografische Fotos und Videos schicken haben lassen. Das Bildmaterial soll er sich ausgedruckt und zum Teil in seinem Zimmer über dem Bett aufgehängt haben.

Minderjährige unter den Betroffenen

Weil zu den Häftlingen, die ihn mit Nacktfotos versorgten, drei 15 bzw. 16 Jahre alte Burschen zählten, denen der Arzt im Gegenzug Guthaben auf die ihnen übermittelten Wertkartenhandys aufgebucht haben soll, warf ihm Staatsanwalt Gerd Hermann den Besitz von kinderpornografischem Material vor. Der Gesetzgeber hat vor einigen Jahren das Horten einschlägiger Bilder von Personen unter 18 Jahren unter Strafe gestellt, nachdem bis dahin eine Altersgrenze von 14 Jahren gegolten hatte.

Vor allem aber wurde dem Arzt der sexuelle Missbrauch eines 13 Jahre alten Buben angelastet. Erst 2005 hatte sich der Mann wegen Missbrauchs eines damals elf Jahre alten Knaben vor dem Landesgericht Krems verantworten müssen. Er war zu zwei Jahren Haft verurteilt und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden, weil ihm ein Psychiater Pädophilie bescheinigt und befürchtet hatte, der Mann würde ohne Therapie rückfällig werden.

Rückkehr in medizinischen Betrieb

Am 30. Juni 2008 wurde der Arzt, der früher als Jugendbetreuer in einer Pfarre gearbeitet hatte, als therapiert entlassen. Er fand umgehend eine Stelle als Turnusarzt in einem Wiener Spital. Er hielt weiter Kontakt zu einem um 21 Jahre jüngeren Mann, den er im Maßnahmevollzug kennen und lieben gelernt hatte. Als der 23-Jährige nach Gerasdorf verlegt wurde, stattete er zunächst diesen mit einem Handy aus, um mit ihm nachts telefonieren zu können: "Es war mir wichtig, den Kontakt zu ihm aufrechtzuerhalten."

In weiterer Folge besorgte sich der Angeklagte auch Nacktbilder von anderen, ihm unbekannten Insassen. Diese hätten "mitbekommen, dass der 23-Jährige vom Angeklagten ein Handy hatte, und wollten auch welche haben", sagt der Anwalt des Angeklagten gegenüber derStandard.at.

Unabhängig davon lernte der 44-Jährige einen 13 Jahre alten Schüler kennen, der ihm im November 2009 erzählte, er sei im Intimbereich operiert worden. Laut Anklage forderte der Arzt den Burschen daraufhin auf, sich zu entblößen. "Er hat fünf Minuten an seinem Genital manipuliert", stellte der Staatsanwalt fest. Der Angeklagte selbst bestreitet dies: Er habe ihn "nur kurz angesehen", sagt sein Anwalt.

Der Mediziner bekannte sich "nicht schuldig". Er habe geglaubt, der Betroffene wäre über 14. Als ihn der Schüler wissen ließ, es sei ihm doch unangenehm, habe er sofort aufgehört. Daher liege keine Strafbarkeit vor. 

Prozess vertagt, neue Zeugen und Gutachten

Der Prozess wurde zur weiteren Beweisaufnahme auf unbestimmte Zeit vertagt. Das Gericht will drei zusätzliche Zeugen hören, die laut Verteidiger Helmut Graupner bestätigen können, dass der Arzt überzeugt war, der Bub, an dem er sexuelle Handlungen vorgenommen haben soll, wäre bereits über 14 Jahre alt gewesen.

Darüber hinaus soll ein zweites psychiatrisches Gutachten eingeholt werden, weil der Anwalt des Angeklagten ein Gerichtsgutachten, das dem Arzt akute Pädophilie bescheinigt, als mangelhaft rügte. Die Expertise entspreche nicht dem Stand der Wissenschaft, sagt der Anwalt.

Auf Basis dieses Gutachtens hat die Staatsanwaltschaft beantragt, den Arzt nicht nur zu einer angemessenen Freiheitsstrafe zu verurteilen, sondern darüber hinaus auf unbestimmte Zeit in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen. (APA)