Vor gut 70.000 Besuchern geht Bono im Wiener Happel-Stadion seinem liturgischen Kerngeschäft nach: Gebet, Lesung, Verkündigung, Gesang, Gestik, Bewegung, das Spenden von Sakramenten

Foto: Standard/Christian Fischer

 Ihr Konzert im Wiener Happel-Stadion glich dann auch mehr einem Kirchentag als einem herkömmlichen Rockkonzert.

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Wien - In Zeiten der Krise sollte sich eine Amtskirche auf ihre Kernkompetenzen besinnen. Man darf nicht immer nur mit scharfem Schwert das Wort Gottes predigen. Gerade wenn es global einmal nicht so gut läuft, muss man seiner Gemeinde zwischendurch auch ein wenig schöntun und nach dem Mund reden. Wohlfühlliturgie ist angesagt. Draußen geht die Welt unter. Doch die Kirche hält. Eine verschworene Gemeinschaft bietet vor allem auch jene süße Labung, die sich Trost nennt.

In der Rockmusik messianischer Prägung ist das nicht anders. In einigen Fällen wie etwa der Church of Bruce Springsteen, der Brotherhood of Michael Stipe, dem Sing- und Betkreis Herbert Grönemeyer oder Bob Dylans Full Gospel Tabernacle funktioniert das Liedwerk als attraktiver Ersatz speziell für den christlichen Glauben. Zumindest dient Rock als von der Welt gut angenommene spirituelle Nahrungsergänzung.

Nun ist es aber so, dass nach der Zeit der brennenden Dornbüsche, der Wunderheilungen und versuchten Stiftung des Weltfriedens irgendwann die Sache Richtung schief läuft. Normierung, Eintragung ins Grundbuch, machen wir es amtlich. Kirchensteuer, Kirchentag, Kirchenaustritt. Bürokratisierung, Büroneubau, Erhöhung des Mitgliedsbeitrags. Richtungsstreitigkeiten. Am Ende: Veruntreuung und Machtmissbrauch. Kurz, die Songs und Alben werden schlechter, es wird allerlei grimmiges Privates aus der Chefetage ruchbar - und die Kundschaft flüchtet in die Filialen der Konkurrenz.

Nach einigen zumindest durchwachsenen Alben versuchen Bono und U2 als größte der oben beschriebenen Weltreligionen im Rock der Flucht ihrer Schäflein mit regelmäßigen spirituellen Visitationen entgegenzuwirken. Die Opfergroschen im Klingelbeutel dürfen nicht versiegen. Die über den ganzen Globus verstreute Gemeinde muss sich auf das ursprüngliche Geheimnis des Glaubens besinnen: I Still Haven't Found What I'm Looking For. Das Ziel ist immer der Weg!

So hat man also mit der seit einem Jahr laufenden 360° Tour nun wieder einmal sämtliche Besucher- und Einnahmenrekorde gebrochen. Allein im Wiener Happel-Stadion im Prater zogen U2 kolportierte sechs Millionen Euro Gage. Bis zum Ende dieser Reise im Jahre des Herrn 2011 erhofft man sich insgesamt weit über 700 Mille für das Altenteil.

Der heilige Schrein

Doch hin jetzt endlich zum Altar! Alles fand unter einer in den heimischen Bunt- und Brüllmedien in jüngster Zeit halbwegs gut dokumentierten, vierbeinigen und von allen Rängen einsehbaren Krakenkonstruktion statt. In deren Mitte hing als technisches Rückgrat eine fernsehturmlange Interkontinentalrakete, die bei einem Defekt mindestens bis zum äußeren Erdkern durchrasen würde. Ein heiliger Schrein, in dem Strom und Computer und Multimedia wohnen. Er sollte dieser Wiener Weihestunde die nötige Würze geben. U2 mag in der schnelllebigen Welt des Rock eine alte Religion sein. Sie geht aber nicht weg, sondern mit der Zeit. Sie tritt gerade auch an den jungen Menschen als unser aller Zukunft heran. Der junge Mensch als solcher mag sich ein Konzert einfach so als Konzert ohne Raketentechnik-Klimbim und LED, wo man das sehen kann, was man mit freiem Auge nicht sehen kann, lieber gar nicht erst vorstellen. Daheim auf Youtube ist man U2 live wenige Stunden nach dem Konzert ohnehin näher als vor Ort.

Doch der junge Mensch, er kam und mischte sich unter die Alten. Es geht schließlich um jenes physische Gemeinschaftsgefühl, das man sich nicht bei Facebook kaufen kann. Das stimmt diese Kirche zukunftsfroh. Und immer wieder geht die Sonne auf! Immerhin hat man sich jüngst vertraglich verpflichtet, bis zum Jahr 2020 regelmäßig pastoral weltzureisen und das Wort zu verkünden. So war das Konzert von U2 vor allem von gegenseitiger Dankbarkeit und Demut getragen. Durchtränkt von selbstergriffener Professionalität in Sachen Glücksvermehrung und liturgischer Quality-Time im Großraumrock dankte Bono den gut 70.000 angereisten lieben Leuten, dass sie ihm und der gemeinsamen Sache über all die Jahre die Stange halten. Er sorgte dafür, dass nur bei unbekannteren Stücken wie der neuen Ballade Every Breaking Wave oder Miss Sarajevo kurz einmal geistliche Ermattung drohte. Der Best-of-Rest wurde demütig den Leuten geschenkt, die sich die Lieder im Stadion gern auch selber vorsangen: Beautiful Day, New Years Day, Mysterious Ways! Elevation!! I Still Haven't Found ..., Sunday Bloody Sunday, Amazing Grace, Where The Streets Have No Name, With Or Without You!!! Als Krönung eine Friedensbotschaft von Bischof Tutu. Hammer, Hammer, Hammer. Diese Kirche ist auf festem Grund gebaut. Davon könnte sich die Politik einige Scheiben abschneiden. (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 1. September 2010)