Bauchfalle für den Chirurgen: Patient landet mit Verdacht auf eine Blinddarmentzündung auf dem OP-Tisch. Der Operateur sucht den Wurmfortsatz rechts und findet ihn nach Verlängerung des Bauchschnittes links. Eine anormale Appendixlage, die sich im Rahmen eines Situs inversus wiederfindet und medizinisch betrachtet als völlig harmloser Zufallsbefund gilt. Nur das fehlende Wissen über eine seitenverkehrte Organverteilung bringen Patient und Arzt mitunter in eine prekäre Lage.

„Spiegelbildlich vertauschte Organe sind per se nicht pathologisch", bestätigt auch Heymut Omran, Leiter der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums in Münster. Egal ob Herz, Leber oder Milz also links oder rechts liegen, das Wunderwerk Mensch kann trotzdem tadellos funktionieren, denn die Aufgabenverteilung bleibt ident. Wie aber löst das Gehirn diese anatomische Ausnahmesituation? „Auch die beiden Gehirnhälften sind bei den betroffenen Personen häufig umgekehrt angeordnet", so Omran. Es gibt zwar nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen zu dieser Thematik, trotzdem gehen Experten davon aus, dass diese Topografie auf die Gehirnfunktion selbst keinerlei Einfluss besitzt. Am Beispiel Sprachzentrum, das im Normalfall links lokalisiert ist, konnten Wissenschaftler unter anderem nachweisen, dass auch Menschen mit vertauschten Hirnhälften Sprache vornehmlich in der linken Hemisphäre formulieren und verstehen.

Kein Zufall

Dass die meisten Menschen ihr Herz jedoch auf der linken Seite tragen, hat einen ebenso komplizierten wie mikroskopisch kleinen Grund. Winzige Flimmerhärchen zeigen sich nämlich für die Raumanordnung der Organe im menschlichen Organismus verantwortlich. Diese Flimmerhärchen, auch Zilien genannt bilden sich in der Embryonalzeit (Zeit von der Befruchtung der Eizelle bis zum Ende der 8. Schwangerschaftswoche, Anm.) in einem sogenannten Knoten, um sich anschließend zu einem exakten Zeitpunkt im Uhrzeigersinn zu drehen. Es entsteht eine Fluss embryonaler Flüssigkeit von rechts nach links. Die Bewegung der Zilien wird durch große biologische Motoren erzeugt. „Diese Motorproteine können bei Menschen mit einem Situs inversus defekt sein, was bedeutet, dass sich dieser Bewegungsprozess verändert und die Anordnung der Organe infolgedessen zufällig erfolgt", ergänzt Omran.

Glück für diejenigen, bei denen sich der Defekt auf den Bereich des Embryonalknotens reduziert, denn diese Menschen leben mit ihrem Situs inversus – wenn sich nicht wie oben beschrieben eine bedrohliche Situation im Rahmen einer Operation zufällig ergibt – hoffentlich gesund bis an ihr Lebensende. „Früher ist man davon ausgegangen, dass die wenigsten Menschen mit einem Situs inversus eine Symptomatik aufweisen. Tatsache ist jedoch, dass diese Seitenverkehrtheit wesentlich häufiger mit Atemwegsproblemen assoziiert, als angenommen wird", weiß Omran aus eigener Erfahrung zu berichten.

Flimmerhärchen sind das Problem

Kartagener Syndrom nennt sich die Erkrankung, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Situs inversus steht. Und auch hier sind die Flimmerhärchen das Problem. Die Zilien des Respirationstraktes, erfüllen nicht mehr ihre reinigende Funktion. Immer wiederkehrende Infektionen und entzündliche Prozesse im Bereich der gesamten Atemwege sind die Folge. Langfristig kommt es zu einem Umbau des Lungengewebes, sogenannten Bronchiektasien. Dieser Prozess ist irreversibel, die chronischen Atemprobleme lassen sich nur mit Hilfe krankengymnastischer Maßnahmen, wie einer Atemwegstherapie lindern.

Auch die Fruchtbarkeit des Mannes kann durch das Kartagener Syndrom beeinträchtigt sein. „Spermienschwänze sind im Grunde nichts anderes als überdimensional große Flimmerhärchen", so Omran. Da sich ebenfalls Motorproteine für die Bewegung der männlichen Keimzellen verantwortlich zeigen, kann ein Defekt dazu führen, dass die Spermien nicht schwimmfähig sind.

Komplexer Mechanismus

Der Grund warum der deutsche Experte jedoch schon vor Jahren begonnen hat sich über das Kartagener Syndrom für den Situs inversus zu interessieren, war folgende Frage: „Warum braucht der Mensch überhaupt so einen komplizierten Mechanismus um die Lage der Organe im Körper festzulegen." Die Antwort, die er nach intensiver Forschungsarbeit bekam, bezeichnet er selbst als „ganz simpel": „Ohne diesen Mechanismus käme es zu einer erhöhten Rate sehr komplexer Herzfehler. Das heißt diese Menschen haben dann vielleicht keinen Situs inversus, sondern das Herz in der Mitte oder aber zwei linke Körperhälften, beziehungsweise zwei rechte", so Omran.

Ein Rätsel ist damit gelöst, Omrans Interesse am Kartagener Syndrom ist aber ungebrochen. Momentan ist der Experte bemüht mit seinem Team Medikament zu entwickeln, mit denen sich das Kartagener Syndrom ursächlich therapieren lässt. „Hinter dem Kartagener Syndrom stecken genetische Veränderungen, häufig sogenannte Stoppmutationen. Im Reagentienglas können wir diese bereits mit Hilfe von Medikamenten korrigieren". Seine Hoffnung, dass diese Behandlung Patienten innerhalb der nächsten Jahre Heilung verspricht, ist groß. (derStandard.at, 09.2010)