"An einigen Tagen fragt man sich, weshalb man sich das antut und am Tag drauf macht es soviel Spaß, dass man kaum glauben kann, dafür auch noch Geld zu bekommen": Matthias Spaetgens über seinen Job als Kreativchef von Scholz & Friends.

Foto: Scholz & Friends

Matthias Spaetgens folgt Walter Lürzer an der Universität für angewandte Kunst in Wien nach und leitet die Klasse "Kommunikationsdesign – Schwerpunkt Werbung". "Die einzige Konstante in diesem Berufsfeld ist das Inkonstante" sagt der Kreativchef von Scholz & Friends Berlin, seine Tätigkeit in Wien sieht er als "Frischzellenkur". Was er von seinen Studenten erwartet und wo Österreich vor Deutschland liegt, erzählt er im E-Mail-Interview mit etat.at.

***

etat.at: Sie übernehmen in Wien auf der Angewandten die Klasse "Kommunikationsdesign - Schwerpunkt Werbung". Warum tun Sie sich das an? Lastet Sie Ihr Job als Kreativchef von Scholz & Friends Berlin nicht aus?

Spaetgens: Man könnte auch fragen: Warum tut die Angewandte sich das an. Aber im Ernst: Ich bin meinem Arbeitgeber dankbar, dass er mir den nötigen Freiraum für die Tätigkeit in Wien einräumt. Die Aufgabe wird eine Frischzellenkur sein und ich bin mir sicher, dass ich von den Studenten mindestens genauso viel lernen werde, wie sie hoffentlich von mir.

etat.at: Wie würden Sie jungen Menschen, die in die Werbung wollen, Ihren Joballtag als Kreativchef beschreiben?

Spaetgens: Morgens geht es um extra starke Lutschpastillen, am Nachmittag um Nutzfahrzeuge und zwischendurch werden die Abläufe in der Kantine reorganisiert. In nur wenigen Berufsfeldern hat man die Möglichkeit sich in so völlig verschiedene Themen einzuarbeiten. Neugierige und leicht zu Langeweile neigende Menschen sind in dem Job bestens aufgehoben.

Auch die Gefühlslage ist wechselhaft: An einigen Tagen fragt man sich, weshalb man sich das antut und am Tag drauf macht es soviel Spaß, dass man kaum glauben kann, dafür auch noch Geld zu bekommen.

etat.at: Was verbinden Sie mit Ihrem Vorgänger Walter Lürzer?

Spaetgens: Mich verbindet sicherlich mehr mit ihm, als er mit mir. Wir sind unterschiedliche Werbegenerationen. Walter Lürzer hat mich duch sein Lürzer Archiv, ein Magazin, in dem die weltweit kreativste Werbung gezeigt wird, stets ungeheuer motiviert. Wahrscheinlich hätte ich ohne diesen Antrieb diese Aufgabe nicht antreten können. Den herausragenden Ruf, den die Werbeklasse unter der Führung von Walter Lürzer erworben hat, möchte ich wahren und weiterentwickeln.

etat.at: Was können sich die Studierenden von Ihnen erwarten und was erwarten Sie sich von Ihren Studenten?

Spaetgens: Ich werde Ihnen mehr erlauben als verbieten. Kreativität sollte, vor allem in der Ausbildung, wenig Grenzen gesetzt sein. Allerdings bezieht sich das auch auf Einsatzbereitschaft und Fleiß.

etat.at: Sie haben Grafik studiert und von 2007 bis 2009 - da waren Sie bereits Kreativchef von Scholz & Friends Berlin - die internationale Berlin School of Creative Leadership besucht. Wie zufrieden waren Sie mit Ihrer Ausbildung? Würden Sie wieder diesen (Ausbildungs-)Weg einschlagen?

Spaetgens: Meine Ausbildung sehe ich als noch nicht abgeschlossen an, deshalb kann ich die Frage schwerllich beantworten. Die Bereitschaft sich lebenslang fortzubilden muss zur Grundausstattung eines Werbekreativen gehören.

Die einzige Konstante in diesem Berufsfeld ist das Inkonstante. Die Medienlandschaft hat sich mit der Erfindung des Internet radikal verändert und dieser Veränderungsprozess dauert fort. Amazon hat gerade erstmals mehr digitale als gedruckte Bücher verkauft und das iPad wird als Heilsbringer für die Zeitungsverlage gefeiert.

etat.at: Gibt es Unterschiede zwischen der Werbung in Deutschland und in Österreich?

Spaetgens: Kreativ liegen die Länder auf Augenhöhe. Das wichtigste Kreativfestival findet alljährlich in Cannes statt. Wenn man die Ausbeute der beiden Länder in den letzten beiden Jahren vergleicht und auf die Einwohner umlegt, wird kein großer Unterschied deutlich. Bei einem anderen Punkt liegt Österreich vor Deutschland: Die Plakate der Außenwerbung sind größer und bieten mehr Platz für schöne Ideen.

etat.at: Auf welche Ihrer Kampagne sind Sie besonders stolz?

Spaetgens: Es sind Kampagnen, die sich wenig nach Werbung anfühlen. Wir haben gerade ehemalige deutsche Fussballweltmeister gegen das deutsche Handwerk antreten lassen. Mehr als 1000 Handwerksbetriebe haben sich beworben, um gegen die Legenden zu spielen. Diese Kampagne haben wir "Meister gegen Meister" getauft. Über die Begegnungen entsteht gerade eine herzzerreißende Filmdokumentation. Hier ist natürlich auch zu sehen, wie die Fussballidole im Mercedes Transporter quer durch Deutschland reisen.

Ein ganz anderes Beispiel ist der Email-Knigge, den wir herausgebracht haben und der sich auch im Buchhandel gut verkauft. Ein kleines, in Leinen gebundens Büchlein gegen die Verblödung der Menschen durch Emails. Nur komisch, dass ich diese Interview gerade per Email beantworte.

etat.at: Was macht für Sie gute Werbung aus?

Spaetgens: Gute Werbung überrascht und enthält im Kern eine überzeugende Botschaft. Man könnte auch sagen: Über gute Werbung lacht man oder sie berührt. Am Ende merkt man sich das Produkt, das Produktversprechen und man kauft die Zahnpasta.

etat.at: Welche Trends sehen Sie in der Werbung?

Spaetgens: Es kommt mehr denn je auf die Idee an. Werbung muss den Anspruch haben zum Gesprächsstoff zu werden. Früher gab es zwei Fernsehprogramme und eine Kaffeemarke konnte sicher sein, der Duft verbreitet sich am Samstagabend im Wohnzimmer der Zuschauer.

Mittlerweile gibt es hunderte Kanäle und das Fernsehen ist zum Zweitmedium geworden, denn parallel wird im Internet gesurft, man schreibt SMS oder telefoniert. Keine Marke kann es sich heute leisten mit viel Geld die Aufmerksamkeit zu erkaufen. Nur Ideen sind heute noch effizient.

etat.at: Inwiefern verändert Social Media den Joballtag eines Kreativen?

Spaetgens: Im echten Joballtag bedeutet es vor allem Ablenkung. Jetzt werden wir nicht nur durch Emails unterbrochen, sondern müssen auch noch den Facebook-Status checken oder bei Twitter tweeten.

Aber wer Zeit zum ungestörten Nachdenken hat, wird merken, dass es eine wunderbare neue Spielwiese für Marken ist. Diese können in einen direkten Dialog treten und bekommen die Meinung gesagt. Egal ob sie sie hören wollen oder nicht. (Astrid Ebenführer, derStandard.at/16.9.2010)