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Probleme im Schultergelenk: In der Jugend dominieren Verletzungen, später Überbelastungen

Foto: Reuters/Kevin Lamarque

Von der menschlichen Schulter kann man, wie von kaum einem anderen Körperteil, von zwei Seiten einer goldenen Medaille sprechen. Mit ihrem komplexen und einzigartigen Aufbau ist es das Gelenk mit dem größten Bewegungsumfang - flink, locker und in alle Richtungen bewegbar. Damit verbunden ist aber eine hohe Instabilität und leichte Verletzlichkeit.

Die Schulter ist eines der Sorgenkinder der Sportmedizin. Das für zahlreiche und wiederkehrende Schmerzen bekannte Gelenk als "Schwachstelle" zu bezeichnen kann Georg Lajtai aber nicht so stehen lassen. Sie ist ein "unglaublich ausgewogenes, großartiges Gelenk, das aber einer regelmäßigen Betreuung bedarf, sagt der Schulterspezialist, der das Altis-Zentrum für Sportmedizin des Humanomed-Zentrums in Althofen in Kärnten leitet. Es sei wie ein großes, aber fragiles Auto. Das müsse man ja auch pflegen.

Der grundlegende Unterschied zu anderen Gelenken ist, dass das Schultergelenk keinen knöchernen Überbau hat. Es ist anders als etwa die Hüfte muskelgeführt. Das Verhältnis zwischen der kleinen Gelenkpfanne und dem im Vergleich riesigen Oberarmkopf ermöglicht durch die vorwiegend muskuläre Stabilisation den großen Bewegungsausschlag. "Wie bei einem Golftee, wo der Golfball draufliegt", visualisiert Lajtai. Wenn es nun zu einer Verrenkung oder einer Überbeanspruchung kommt, dann seien es eben keine knöchernen Strukturen, die die Stabilität erhalten, sondern allein Muskeln.

Medizinisches Rätsel

Die häufigste Ursache für Überlastungssyndrome an der Schulter sind Überkopfsportarten wie Tennis, Handball, Schwimmen oder Volleyball. "30 Prozent der professionellen Volleyballspieler haben durch den Ausfall eines Schulternervs einen Muskelabbau in der Schulter", erklärt Lajtai. Trotz dieses Phänomens bleiben die Profis voll wettkampffähig, während bei Hobbysportlern dasselbe Krankheitsbild zu Schmerzen und Funktionsausfall führt. In seiner aktuell laufenden Studie will Lajtai diesem Phänomen auf den Grund gehen. Die Untersuchungen der Leitgeschwindigkeit der Nerven in den betroffenen Muskeln sollen langfristig bei der Behandlung der Schultererkrankungen von Nichtsportlern und bei der Entwicklung präventiver Maßnahmen helfen.

Eine gut trainierte Muskulatur ist eine gute Vorbeugung gegen Schulterprobleme. "Doch auch Muskelaufbautraining kann man übertreiben und vor allem falsch machen", erklärt Reinhard Weinstabl. Der Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie rät, einen professionellen Fitnesstrainer zu konsultieren, will man die Schultermuskulatur gezielt trainieren. Liegt schon ein Krankheitsbild vor, sei die optimale Betreuung nur durch ein Zusammenwirken von Physiotherapeut und Arzt gegeben.

Richtiges Training

Von pauschalen Kräftigungsübungsprogrammen rät Weinstabl sich in Acht zu nehmen. Denn Schulterprobleme haben viele Facetten. "Es gibt ganz sportartspezifische Schulterbereichsverletzungen wie Schlüsselbeinbruch beim Montainbiken oder Oberarmbruch beim Reiten", erklärt Weinstabl. In der Jugend überwiegen die Verletzungen, im Alter dann die Überlastungen an der Schulter. Und auch Veranlagung zu Schulterschmerz gebe es: Eine spezielle Formung des Acromion, des Dachs eines Schultergelenks, kann das sogenannte Impingement-Syndrom (siehe Wissen) begünstigen.

Neben dem richtigen Training unter professioneller Führung ist für Weinstabl auch neben dem professionellen Sport-Material vor allem aber die persönliche Einstellung ganz wesentlich. Jede Aktion im Sport ist eine Kombination aus hunderten Muskelkontrakturen. "Wenn in der Bewegungskette ein einziger kleiner Fehler ist, und sei es, dass der Sportler mental blockiert ist, weil er zu viel will, stimmt dieser Bewegungsablauf nicht mehr, und die Muskeln funktionieren nicht so, wie sie sollen."

Sorgenkind ist die Schulter nicht zuletzt deshalb, weil man sie für quasi jede Bewegung der oberen Extremität im täglichen Leben braucht. Ob Essen oder Frisieren, alles läuft über die Schulter. Eine Einschränkung dieses Gelenks bedeutet daher eine massive Beeinträchtigung der Lebensqualität.(Julia Grillmayr, DER STANDARD Printausgabe, 06.09.2010)