Berlin - Die Beschlüsse der deutschen Bundesregierung zugunsten einer Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke haben harsche Kritik von Stadtwerken und Industrievertretern der erneuerbaren Energien ausgelöst. Analysten hoben dagegen hervor, die Pläne der schwarz-gelben Koalition fielen für die großen Versorger Eon und RWE weit positiver aus als erwartet. Kanzlerin Angela Merkel verteidigte den Beschluss, den EU-Energiekommissar Günther Oettinger als fairen Kompromiss wertete. Die Versorger wollten sich zunächst nicht äußern.
"Die Stadtwerke sind enttäuscht", sagte Stephan Weil, Chef des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), am Montag in München. "Die Bundesregierung hat sich leider einseitig aufseiten der großen Versorger gestellt", klagte er. Die Pläne behinderten die Einführung neuer Technologien, kleineren Stromanbietern würden Investitionen erschwert. "Die Atomlobby hat sich mit ihren dreisten Forderungen auf ganzer Linie durchgesetzt", sagte der Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE), Dietmar Schütz. Dass die Atommeiler länger am Netz bleiben sollen, gefährde zukunftsweisende Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energien. "Damit wird das Energiekonzept der Bundesregierung zur Farce."
Laufzeitverlängerung
Die deutsche Bundesregierung hatte sich in der Nacht auf eine durchschnittliche AKW-Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren geeinigt. Ältere Kraftwerke dürfen demnach acht Jahre länger betrieben werden, nach 1980 gebaute AKW sollen 14 Jahre länger am Netz bleiben. Nach dem bisher geltenden Atomkonsens aus dem Jahr 2000 müsste der letzte Meiler etwa 2023 vom Netz gehen. Zu den AKW-Betreibern in Deutschland gehören Eon, RWE, EnBW und Vattenfall. Die Aktien der beiden größten Versorger Eon und RWE reagierten mit satten Kursgewinnen auf die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung.
Analysten erklärten in ersten Reaktionen, der Beschluss falle für die Versorger noch besser aus als ursprünglich angenommen. Energiekonzerne würden bei den Kompensationen für die längeren Laufzeiten weit weniger belastet als erwartet. Die Entscheidung der Bundesregierung falle "klar positiv" für die beiden Energieriesen RWE und Eon aus, bilanzierten Experten der DZ Bank. Im Durchschnitt dürften die Meiler zwölf Jahre länger laufen - deutlich mehr als die von den Experten zuvor angenommenen zehn Jahre. Die Beiträge der Versorger zur Förderung von erneuerbaren Energien fielen zudem deutlich geringer aus als von den Analysten prognostiziert und seien "weitgehend zu vernachlässigen". Offenbar gebe es auch keine verbindlichen Anforderungen für höhere Sicherheitsstandards der Atomkraftwerke. Zudem sei auch nicht zu erwarten, dass auch der Bundesrat den Plänen der schwarz-gelben Bundesregierung zustimmen müsse. Auch die Analysten der WestLB kamen zu dem Schluss, dass die Belastungen für die Versorger deutlich geringer ausfallen dürften als ursprünglich von diesen befürchtet worden sei.
Kanzlerin Merkel verteidigte die nach langem Ringen innerhalb der Regierungsparteien CDU, CSU und FDP gefundene Einigung. Die Unternehmen müssten in den kommenden Jahren noch erhebliche Summen in die Sicherheit der länger laufenden Atommeiler investieren, kündigte die Kanzlerin an. Zudem würden Teile der Gewinne aus der Laufzeitverlängerung den erneuerbaren Energien zugutekommen.
Westerwelle sieht Durchbruch
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat den Atomkompromiss als energiepolitischen Durchbruch bezeichnet. "Das war eine Entscheidung zum Klimaschutz von geradezu epochaler Bedeutung", sagte der Vizekanzler am Montag in Berlin. Niemals zuvor sei "eine so feste Brücke" gebaut worden in das Zeitalter der erneuerbaren Energien, fügte der Außenminister hinzu. Der Beschluss sei auch aus außenpolitischer Sicht gut, da "einseitige Abhängigkeiten" verhindert würden. Es gehe darum, dass Deutschland nicht von Rohstofflieferungen einzelner Länder abhängig werde, die die Unabhängigkeit des Landes eines Tages beeinträchtigen könnten. "Wir wollen, dass Deutschland auf einem Energiemix aufgebaut ist", betonte der Außenminister.
Der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat die Einigung der Koalition auf eine durchschnittliche Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke verteidigt. Die Entscheidung sei mit Fachgutachten "sorgfältig" vorbereitet worden, sagte Brüderle am Montag im "Morgenmagazin" des ZDF.
Der deutsche Bundesvorstand der Grünen hat indessen harten Widerstand gegen die von Schwarz-Gelb vereinbarte Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke angekündigt. "Wir werden auf allen Ebenen Widerstand leisten und die juristische Auseinandersetzung gegen eine solche Politik voranbringen", sagte Grünen-Chefin Claudia Roth zum Auftakt der Herbst-Klausurtagung ihrer Partei am Montag in Düsseldorf. Denkbar sei eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht. (APA/Reuters/dapd)