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Im Interview bezeichnet Kampusch das Weltbild von Wolfgang Priklopil als "recht naiv, komisch, seltsam, radikal".

Foto: APA/dpa/Marcus Brandt

Wien/Mariazell - Der Rummel um Natascha Kampusch und ihre achteinhalbjährige Entführung findet seit ihrer Flucht vor vier Jahren kein Ende. In ihrer Autobiografie "3096 Tage" hat die heute 22-Jährige mit Hilfe von Co-Autoren ihre Geschichte selbst niedergeschrieben. In einem Interview erklärte Kampusch nun die Gründe, warum sie das Buch geschrieben habe: "Ich wollte mit der ganzen Geschichte abschließen. Ich wollte auch, dass sich Menschen, die sich dafür interessieren, etwas haben, woran sie sich orientieren können. Dass die nicht immer das glauben, was Verschwörungstheoretiker verbreiten."

Kampusch geht in ihrem Buch neben ihrer Gefangenschaft im Hause von Wolfgang Priklopil auch auf ihre Kindheit ein, da gerade das Verhältnis zu ihrer Mutter sehr oft falsch dargestellt würde. Demnach gab es keine Gewalt in der Familie, berichtet Kampusch: "Danach ist es eben nicht mehr verbreitbar, dass sie mich beispielsweise geschlagen hat oder dass sie total brutal gewesen ist."

"Mir ist das Ganze noch mal entgegen gesprungen"

Warum ihre Geschichte immer wieder als kontrovers und widersprüchlich interpretiert werde, erklärt sich Kampusch so: "Ich wollte zeigen, dass der Täter ein Mensch ist und dass Leiden und schlimme Zeiten nicht überzeichnet werden müssen. Dass dieses Gefängnis ja auch innen ist und es reicht, wenn man ein zehn-, elf-, zwölfjähriges Mädchen in einen Keller einsperrt. Dass es sich nicht wehren kann oder irgendwelche Fluchtpläne schmieden kann. Es hätte vielleicht sogar gereicht, wenn es eine ganz normale Tür gewesen wäre." Die Arbeit am Buch habe ihr geholfen Aspekte zu verarbeiten, die sie bislang verdrängt hatte. "Mir ist das Ganze noch mal so entgegen gesprungen", sagt sie.

Im Buch bezeichnet sie Wolfgang Priklopil durchgehend als "Täter". Kampusch meint dazu: "Es wäre seltsam, ihn mit Wolfgang zu bezeichnen. Das Buch ist ja für andere Menschen geschrieben, und ich wollte nicht, dass die dann so auf 'Du und Du' mit dem Täter sind. Das wäre unpassend und würde dem Ganzen ein bisschen den Ernst nehmen und wieder von dem ablenken, was mir passiert ist und wie das für mich war." Zudem konnte sie sich so eine Distanz zu ihrem Entführer bewahren. Kampusch habe es vermieden Vermutungen anzustellen, was Priklopil zu der Tat verleitet hat. Es sei nämlich ihr Buch und nicht seines.

"Wieder ich selbst werden"

Priklopil habe versucht, ihr sein Weltbild aufzudrängen, das Kampusch im Interview als "recht naiv, komisch, seltsam, radikal" bezeichnet. "Ich habe nach und nach bemerkt, dass ich vielseitiger und flexibler bin als er. Ich bin umfassend interessiert am Leben, an den Menschen, an Kulturen und an unterschiedlichen Lebensformen", erzählt sie. Und ergänzt: "Je mehr ich wieder ich selbst werde - die, die ich auch vorher als Kind war - entferne ich mich davon. Er hat mich irgendwie nicht psychisch geformt oder beeinträchtigt - er hat mich nur während der Zeit dort beeinträchtigt."

Über Schuldgefühle und Defizite des Täters

Kampusch ist überzeugt, dass ihr Entführer die Tat bereut hat: "Ich glaube schon, ihm ist gleich zu Beginn bewusst geworden, dass es eine ziemliche Last ist. Er dürfte am Anfang sehr stark geschockt gewesen sein durch das, was er gemacht hat." Er habe sich das Szenario zwar herbeigewünscht, sei dann aber von der Situation überfordert gewesen.

"Ich mochte als Kind den Religionsunterricht so gerne und mir ist in Erinnerung geblieben, dass die Religionslehrerin meinte, dass Gott die Verbrecher irgendwie mehr liebt. Dann haben sich natürlich alle Kinder aufgeregt und gesagt, wieso werden die mehr geliebt? Aber mir war das sofort klar: Weil die irgendwie ein Defizit haben", sagt Kampusch. (red/APA, derStandard.at, 6. September 2010)