Die neugegründete Österreichische Plattform für Interdisziplinäre Alternsfragen (ÖPIA) lud in Alpbach zu Reformgesprächen über Frailty. Das gilt von Biogenetik bis Medizin und Sozialwissenschaft als fachübergreifendes Avantgarde-Thema, das von einer "Spitzenkapazität" der Wiener Medizin, so weit hinter Alpbach, "noch nie gehört" worden war.

Frailty ist, nach Franz Böhmer, langjähriger Präsident der Geriatrie und Gerontologie, keine Krankheit, sondern ein mehrdimensionales Syndrom herabgesetzter Belastbarkeit. Gebrechlichkeit, fortschreitender Funktionsverlust, Multimorbidität und Behinderung, die nicht durch ein einziges Organ, sondern komplexe, noch vielfach unverstandene Wechselwirkungen hervorgerufen wird. Diese Art - aufschiebbarer, aber meist unumkehrbarer, insoweit unheilbarer - Altersschwäche Hochbetagter wird laut WHO-Klassifikation immer noch "Senilität" oder "Seneszenz" genannt. Als Todesursache darf sie lege artis nicht mehr verwendet werden, was vielleicht die rund 50 Prozent falschen Todesursachendiagnosen nach einer Autopsie erklärt.

Linda Fried hatte 2001 erstmals als Frailty zusammengefasst, was Geriater seit 1990 als Syndrom diskutierten: ungewollten Gewichtsverlust, Muskelschwäche und -abbau, Knochenschwund, Antriebslosigkeit und rasche Erschöpfung, schwache Handgriffstärke, langsamer Gang beziehungsweise Gang-/Standunsicherheit mit Sturzneigung, Immobilität und niedriges Aktivitätsniveau. Doch weder gibt es bisher eine klare, allgemein anerkannte Definition, noch Frailty Marker zwecks Risiko-Früherkennung für Prävention und Therapie.

In Gesellschaften, die Selbständigkeit und Selbstbestimmung als oberste Werte postulieren wird Pflegebedürftigkeit, die Abhängigkeit von anderen als besonders schmerzlicher und kränkender Verlust an Würde erlebt (Sabine Pleschberger). Ilse Kryspin-Exner zitierte aus Shakespeare's Hamlet "Frailty, thy name is woman", um geschlechtsspezifische Verletzlichkeit und den Zusammenhang von körperlicher Gebrechlichkeit mit Depression und Isolation zu zeigen.

Der langjährige WIFO-Chef Helmut Kramer beschäftigte sich weniger mit den gesellschaftlichen Folgen individueller Frailty als mit der Frage, ob die unter günstigen Bedingungen raschen Wachstums und zunehmender Erwerbsbeteiligung eingerichteten öffentlichen Sicherheitsnetze angesichts der "epochalen Belastungen" nicht selbst "gebrechlich" würden.

Denn die systemische Verletzlichkeit und Krisenanfälligkeit hochkomplexer Institutionen von der Finanzwirtschaft bis zur Sozialversicherung, so meine These, hat gar nichts mit Alterung, gar "Überalterung" (die es wissenschaftlich nicht gibt, ein reiner Kampfbegriff) oder individueller Gebrechlichkeit zu tun, auch wenn in einer Generation 10 Millionen Deutsche und eine Million Österreicher über 80 Jahre alt sein werden. Selbst massenhafte Frailty wäre zwar menschlich und pflegerisch, aber kaum systemisch relevant.

Gesellschaften werden "altersschwach" weder durch Alterung noch durch massenhafte Gebrechlichkeit Hochbetagter, sondern durch eine Art "Inaktivitätsatrophie" von zig Millionen Arbeits- und Erwerbsloser im Erwerbsalter. (Bernd Marin/DER STANDARD, Printausgabe, 7.9.2010)