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Fall Kampusch:  Krölls Bruder ist überzeugt, dass der Ermittler "zu viel wusste"

Foto: APA/Marcus Brandt

Graz/Wien - Bereits Ende Juni nahm sich der 58-jährige Grazer Polizeioffizier Franz Kröll das Leben. Die letzten beiden Jahre seines Lebens war Kröll nicht in Graz, sondern in der "Soko Kampusch" in Wien als Chefermittler tätig. Was den Mann, der von Kollegen in der Steiermark als "exzellenter Kriminalist und Aufdecker" beschrieben wird, in den Freitod getrieben hat, dazu gibt es verschiedene Meinungen.

Seitens der Polizei heißt es, Kröll sei nach dem Ende seiner Arbeit für die Kommission mehrere Wochen in den Krankenstand gegangen und habe dann Suizid verübt - wegen "psychischer Probleme". Zumindest "gibt es einen Abschiedsbrief, der das belegt", erzählt Gerhard Lachomsek, ein langjähriger Kollege Krölls in der Grazer Kripo dem Standard. Nachsatz: "Aber davon haben wir hier nie etwas gewusst." Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, warum sich Kröll getötet habe, bleibt er vage: "Das war eine Mischung aus vielen Gründen".

Krölls Bruder ist jedenfalls überzeugt davon, dass der Ermittler "zu viel wusste". Vor einer Woche wurde nun von der Polizei eine Hausdurchsuchung bei dem Bruder durchgeführt, wie die Kleine Zeitung publik machte. Die Polizei bestätigte dem Standard, dass dabei unter anderem ein USB-Stick mit Dokumenten, Fotos und Berichten zum Fall Kampusch sichergestellt wurden. Der USB-Stick und ein ebenfalls beschlagnahmter Laptop wurden per Anordnung der Grazer Staatsanwaltschaft sofort zum Bundeskriminalamt nach Wien gebracht.

"Die Erben haben angezeigt, dass Dinge aus der Wohnung des Toten fehlen", erklärt Lachomsek die Hausdurchsuchung. Der Bruder hatte einen Schlüssel, den ihm sein Bruder "für Notfälle" gegeben hatte und habe versucht, "das Material, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war", an Medien zu verkaufen, "Profil und Österreich waren sicher dabei".

Der Grünen-Politiker Peter Pilz, der - wie berichtet - glaubt, dass der Entführer von Natascha Kampusch, Wolfgang Priklopil, Mitwisser hatte, formuliert seine Vermutungen über die Umstände des Selbstmord drastisch: "Das Innenministerium und die ÖVP haben Kröll auf dem Gewissen. Er stand unter enormen Druck."

"Bericht unter Verschluss"

Denn Kröll habe einen Abschlussbericht verfasst, in dem er "nicht zu dem Schluss kam, der vom Ministerium erwünscht war. Er war der Meinung, dass die Einzeltäter-Theorie nicht stimmt". Pilz kritisiert, dass dieser Bericht "vom Innenministerium unter Verschluss gehalten" wird.

Der ehemalige Vorsitzende der Evaluierungskommission im Fall Kampusch, Ludwig Adamovich, bestätigt die Existenz des Berichts, "wo immer der jetzt liegt". Adamovich habe ihn gelesen und es stimme, dass Kröll, ein "energischer und gewissenhafter Ermittler, der interessante Fragen" stellte, "seine Zweifel hatte, dass Priklopil allein war". Adamovich glaubt aber auch, dass Kröll sich durch seine Versetzung "aus dem operativen in den analytischen Bereich zurückgesetzt gefühlt hat". (Colette M. Schmidt/DER STANDARD-Printausgabe, 9.9.2010)