In Wien treffen sich bis heute, Freitag, Unifem-Nationalkomitees zu einer internationalen Tagung. Im Bild: Vizedirektor des Uno-Entwicklungsfonds für Frauen Unifem Moez Doraid.

Foto: Unifem

Standard: Vor zehn Jahren hat der Sicherheitsrat mit der Resolution 1325 beschlossen, Frauen bei Friedensprozessen stärker einzubinden. Woran hakt die Umsetzung?

Doraid: Es gibt einige Fortschritte, aber die sind minimal. Beispiel: Von 300 Friedensverträgen seit 1989 haben nur 18 Bezug genommen auf Geschlechterfragen und sexuell motivierte Gewalt. In nur zehn Prozent der Friedensgespräche saßen Frauen mit am Tisch.

Standard: In vielen Staaten spielen Frauenrechte kaum eine Rolle. Gibt es überhaupt einen politischen Willen, die Resolution umzusetzen?

Doraid: Der politische Wille, der mit der Resolution ausgedrückt wurde, muss sich in mehr Engagement von mehr Mitgliedstaaten verwandeln, bis hin zu Verhaltensregeln für Peacekeepers.

Standard: Ein Langzeitprozess?

Doraid: Das können wir uns nicht leisten. Es ist Luxus, überhaupt an einen Langzeitprozess zu denken, wenn wir allein in den letzten zwei Wochen von Massenvergewaltigungen in der Demokratischen Republik Kongo erfahren haben. Weder strategisch noch moralisch kann man das als etwas anderes als dringlich betrachten.

Standard: Der internationale Aufschrei zu Kongo fiel verhalten aus.

Doraid: Die Sonderbeauftragte des Generalsekretärs, Margot Wallström, und der Assistant Secretary General (Atul Khare, Anm.) haben eingestanden, dass das System versagt hat. Der Aufschrei ist sicher nie ausreichend. Aber wichtiger ist, dass wir uns intensiv damit auseinandersetzen. Engagement ist gut, aber es reicht nicht. Man braucht auch Mechanismen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die betroffenen Frauen müssen die Mechanismen kennen und wissen, dass sie geschützt werden.

Standard: Warum ist es generell so wichtig, Frauen in Friedensprozesse stärker einzubinden?

Doraid: Sie bringen eine neue Perspektive ein. Das betrifft etwa die menschliche, die wirtschaftliche und soziale Sicherheit. Die Bedürfnisse von Frauen sind in Post-Konflikt-Situationen anders. Beispiel Entmilitarisierung: Oft beschränkt sich die Schaffung von Arbeit auf die männlichen Truppen. Frauen werden vergessen. Und: Nach sexuellen Verbrechen darf es keine Straffreiheit geben. Auch hier ist die Beteiligung von Frauen entscheidend.

Standard: Sehen Sie ein besonderes Problem mit Frauenrechten in den muslimischen Staaten?

Doraid: Besonders im arabischen Raum gibt es mehr Ungleichheit der Geschlechter als anderswo. Gleichzeitig hat in den letzten 30 Jahren keine Region in dieser Hinsicht solche Fortschritte erzielt, etwa bei der Gesundheit, Bildung, dem Kampf gegen Analphabetismus. Anders ist das in der Arbeitswelt und bei der politischen Beteiligung. Die Kultur, einschließlich der religiösen Säule, kann aber nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Der Islam hat den Frauen sehr früh formale Eigentums- und Erbrechte eingeräumt - 1000 Jahre vor den modernen Rechtssystemen. Das Problem ist die Interpretation.

Standard: Wo die Ungleichheit religiös argumentiert wird, liegt also eine Fehlinterpretation vor?

Doraid: Genau - bzw. eine einseitige. Die meisten religiösen Traditionen haben viele Interpretationen. Abhängig von der Zeit und den Umständen überwiegt eine liberale, konstruktive Interpretation - oder etwas anderes. Der Islam hat alle Elemente für liberale Interpretationen. Viele Länder wenden das schon an. In den 1990ern wurde die Mehrheit der Muslime von Frauen regiert: Pakistan, Bangladesch und Indonesien wurden von Frauen geführt. Das zeigt das Potenzial und die Möglichkeiten.

Standard: Im Juli hat die Generalversammlung die Schaffung von "UN Women" beschlossen, das alle mit Frauenfragen befassten UN-Organisationen zusammenbringt. Was bringt das?

Doraid: Wir hoffen, dass es mehr Ressourcen gibt. Das wurde jedenfalls versprochen, aber es hängt an den Mitgliedstaaten. Bisher gab es viel zu wenig. Außerdem wird es mehr Kooperation innerhalb des Systems geben. Zugegeben, bisher war das in der UN-Bürokratie sehr fragmentiert. (Julia Raabe/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.9.2010)