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"Ab und zu gestatte ich mir noch eine Erregung": Michael Degen als Professor Robert Schuster mit Olga (Elfriede Schüsseleder).

Foto: APA / ROLAND SCHLAGER

Wien - Das einst unter einem von aufgeregten Volksvertretern und Journalisten losgetretenen "Skandal" meterdick verschütt gegangene und seither davon kaum abzulösende Theaterstück Heldenplatz von Thomas Bernhard erzeugt heute, 22 Jahre später, als Klagelied und schweifende Rede an Österreich immer noch seine Wirkung. Auch wenn die hochgeschraubten Hasstiraden auf dieses Land mittlerweile hinlänglich als barocker Kunstgriff dekodiert werden und deshalb auch der Bundespräsident am Ende ruhig applaudieren kann, obwohl es kurz zuvor noch hieß: "Die Sozialisten heute sind im Grunde nichts anderes als katholische Nationalsozialisten."

Dieses Stück, das zu gefühlten fünfzig Prozent aus herzhaftem Snobismus besteht (die Schuhe in Turin kaufen, aber "nur die englischen" anziehen usw.), lenkt immer noch entlang einer drastischen und natürlich als Komödie getarnten Österreich-Suada mit absoluter Zielsicherheit auf die nationale Wunde, auf das nachhallende Heldenplatz-Gegröle im Anschlussjahr 1938.

Regisseur und Peymann-Schüler Philip Tiedemann, der im Theater in der Josefstadt zuletzt mit Ingmar Bergmans Das Leben der Marionetten vertreten war, hat das Drama nun sachte wiedererweckt. Und er nimmt dabei deutlich Maß an der Uraufführungsinszenierung des einstigen Lehrmeisters. Szenerie und Ausstattung sind dem Peymann'schen Werk durchaus ähnlich (sogar ein Minimundus-Burgtheater ist als schwacher Schatten in der Volksgarten-Szene projiziert). Und das ergibt auf der kleineren Bühne der Josefstadt auch eine kleinere Kopie, die allerdings vom großbürgerlichen und naturalistischen Duktus einiges eingebüßt hat:

Das "Große Garderobenzimmer", in dem die Haushälterin und Descartes-Leserin Frau Zittel ihre weltberühmte Bügelszene absolviert, ist hier ein von einer grauweißen halbrunden Spannwand begrenzter Raum mit nicht viel mehr als paarweise aufgereihten Schuhen. Marianne Nentwich ist eine melodiöse Frau Zittel im weißen Arbeitskittel (Kostüme: Stephan von Wedel), sie riecht ergeben und abgestoßen zugleich am Anzug des Herrn Professor Josef Schuster, der sich wenige Tage zuvor aus dieser, seiner nahe dem Heldenplatz gelegenen Wohnung in den Tod gestürzt hat.

Abstrakter Rahmen

Dem ganzen Spiel hat Tiedemann einen leicht abstrahierenden Rahmen gegeben: Die frontalen Gazevorhänge, die jeden Akt-Anfang in ein kontemplatives, kurzes Schattenspiel tauchen, werden von den Schauspielern selbst aufgezogen (Bühne: Etienne Pluss). Es gibt auch ein klein wenig Support vom Sounddesign, sodass etwa im dritten Teil das Decken des Tisches gespenstische, nachhallende Töne erzeugt, die überleiten in die wahnhafte Geräuschkulisse vom historischen Heldenplatz. Abstrakte Setzungen wie etwa die stilisierten Posen der Tischgesellschaft (Sona MacDonald als Anna; Elfriede Schüsseleder als Olga) oder die Überzeichnung schlechter Tischmanieren wirken weniger monströs als unfreiwillig komisch.

Das Vorhaben Tiedemanns, den großbürgerlichen Haushalt und seine Mitglieder vom astreinen Realismus zu befreien und sie z. B. durch slapstickhafte Momente (das rhythmische Putzen der Schuhe; das soghafte Im-Kreis-Drehen der Parkbank) als Erfindungen kenntlich zu machen, war erstens zu unentschlossen und zweitens gar nicht nötig. Ein Schauspieler wie Michael Degen, der in hochtemperierten, zielsicher anschwellenden Sätzen spricht und dabei seiner der Rede innewohnenden Müdigkeit immer rechtzeitig nachgibt, so ein Schauspieler hält das Bernhard'sche Mantra von sich aus so kunstvoll angehoben in Betrieb, dass es keines solchen szenischen Kommentars bedarf. Seine Darstellung steht der Interpretation Wolfgang Gassers (Robert Schuster in der Uraufführung) um nichts nach.

Auch wenn ein wenig Patina nicht zu verleugnen ist, so ist diese mit Selbstironie gesegnete Josefstädter Light-Position durchaus legitim, und sie hat Spaß gemacht: "Die Josefstadtgeherei ist ja nur eine Marotte." Nicht nur. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe 11./12.9.2010)