Es ist das Credo aller Föderalisten, dass man "unten bei den Leuten" wohl am besten wüsste, wie man mit den Problemen vor Ort umzugehen hätte. Weil man auf kommunaler und allenfalls regionaler Ebene die Gegebenheiten der Natur genauer kenne als irgendwelche Bürokraten "da oben", sei es in Wien oder in Brüssel.

Da ist sicher etwas dran. Andererseits zeugen gerade viele Kraftwerks- und Tourismusprojekte im Alpenraum davon, dass die Sache aus dem Ruder laufen kann, wenn sich die Besserwisser im Land und in den Landesgesellschaften mit Lokalpolitikern verbünden, um Fakten zu schaffen, die sie für die besten halten. Die aber leider, leider rechtlich bedenklich sind - und Natur unwiederbringlich zerstören.

Die entsprechenden Bedenken haben in letzter Zeit zugenommen. Weil nämlich die Rechtssetzung gerade in Naturschutzfragen auf eine europäische Ebene gehoben wurde: Da gibt es zwingende Bestimmungen wie die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, die Vogelschutzrichtlinie und - beim Bau von Wasserkraftwerken besonders relevant - die Wasserrahmenrichtlinie. Diese zielt darauf ab, dass der Zustand von Gewässern nicht verschlechtert werden darf.

Und das bezieht sich nicht nur auf die Reinheit des Wassers: In Österreich fließt ja oft gut geklärtes Wasser in kanalisierte Flussbetten mit toten Ufern und fehlender Fischpopulation. Einer Kraftwerksgesellschaft mag es egal sein, ob an einem Fluss wie der Isel die Deutsche Tamariske wächst. Einem örtlichen Bürgermeister mag es vertretbar erscheinen, wenn der seltene Rispelstrauch verschwindet, wenn dafür mit dem Strom auch Geld für die Gemeinde fließt. Aus der Sicht des europäischen Naturschutzes sieht das aber anders aus.

Noch sind einige Länder zurückhaltend, das europäische Recht anzuwenden, die Vorkommen seltener Pflanzen und Tiere zu melden und zu schützen. Man könnte ja vielleicht da und dort noch rasch eine Baustelle einrichten. Nein, das darf man nicht. Wenn sich Föderalisten gegen die Natur verschwören, braucht es ein europäisches Korrektiv. (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 14.9.2010)