Die katholische Kirche in Belgien hat am Montag ihr jahrelanges Schweigen zur Mitschuld an hunderten Missbrauchsfällen durch Geistliche in den vergangenen Jahrzehnten offiziell gebrochen und sich zur Mitschuld bekannt. Man werde versuchen, den Opfern, so gut es geht, zu helfen, erklärte Erzbischof André-Mutien Léonard. Gleichzeitig versicherte er, dass die Schuldigen bestraft werden. Seine Kirche habe "ein Gefühl der Wut und Ohnmacht" ergriffen, so der Erzbischof.
Dem war am Wochenende die Veröffentlichung eines Berichts über kirchlichen Missbrauch durch eine Untersuchungskommission unter Vorsitz des angesehenen Kinderpsychiaters Peter Andriaenssens vorangegangen. Der Arzt sprach selber von einer "Affäre Dutroux der belgischen Kirche" und sprach damit ein Schreckenswort aus, das die Bevölkerung seit Mitte der 1990er-Jahre schockierte, immer dann, wenn es um Kindesmissbrauch geht. Damals war aufgedeckt worden, dass Marc Dutroux, der später zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, systematisch Mädchen entführt, vergewaltigt und ermordet hatte. Verbindungen zur Pädophilenszene entsetzten damals das ganze Land.
Im Bericht von Andriaenssens wird aufgeführt, wie seit dem Jahr 1950 fast 500 Menschen als Kinder Opfer von sexuellen Übergriffen wurden. Zwei Drittel der Zeugen, die sich bei der Kommission gemeldet hatten, sind Männer, ein Drittel Frauen. 13 Opfer sexueller Gewalt hätten sich das Leben genommen, berichtet die Kommission. Erst nach dem Rücktritt eines belasteten Erzbischofs im April kam die Aufdeckung ins Rollen. (Thomas Mayer aus Brüssel/DER STANDARD-Printausgabe,14.9.2010)