Stadträtin Sonja Wehsely führt durch ihr "Grätzel", den Karmelitermarkt. "Der Karmelitermarkt ist für mich ein Stück Heimat."

Foto: derStandard.at

"Bei der Frage nach den Kosten der Gesundheitsversorgung und der Spitäler ist nur die Frage realistisch, wie man den Kostenanstieg reduzieren kann."

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"Wir sind auf die demographische Entwicklung sehr gut vorbereitet."

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"Wir müssen schauen, wie garantiert werden kann, dass das Pflegegeld auch für Pflege, nämlich professionelle Pflege, verwendet wird."

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Die Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely will die Spitäler entlasten, um einen weiteren Kostenanstieg zu verhindern. Dass das Pflegegeld gekürzt werden soll, hält sie für ein "böses Gerücht". Trotzdem will sie es besser kontrolliert wissen, sagt sie im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Wir haben Sie gebeten, mit uns an einem für Sie wichtigen Ort in Wien spazieren zu gehen. Warum haben Sie sich den Karmelitermarkt ausgesucht?

Wehsely: Der Karmelitermarkt ist für mich ein Stück Heimat, ich bin ums Eck in der Hollandstraße aufgewachsen und lebe seit 40 Jahren in dem Grätzel.

derStandard.at: Wenn Sie Wien betrachten, was würden Sie gerne ändern?

Wehsely: Der Karmelitermarkt ist ein sehr gutes Beispiel, was man mit Stadtentwicklung machen kann. Bis Mitte der 1980er hat das Karmeliterviertel keiner gekannt, dieser Teil des zweiten Bezirks war grau in grau. Er wurde sehr attraktiv gemacht, ohne die, die da waren, zu verdrängen. Das ist etwas, womit man in einer großen Stadt wie Wien nie fertig ist. Wo man noch etwas verbessern kann, ist die Frage der Krippen für Unter-Dreijährige, wo Stadtrat Christian Oxonitsch sehr stark dran ist. Wien ist im Vergleich in Österreich immer an erster Stelle gelegen, aber wir leben in Wien und nicht im Vergleich.

derStandard.at: Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Kosten bei den Spitälern zu senken?

Wehsely: Ich habe den Eindruck, dass hier oft eine Begriffsverwirrung da ist. Es ist nur die Frage realistisch, wie man den Kostenanstieg reduzieren kann. Man kann nicht die gleiche Leistung billiger erbringen, ohne dass Qualität verloren geht.

Was aber sehr wohl möglich ist, ist die Kooperation zwischen Spitälern und niedergelassenem Bereich zu verbessern. Das lässt sich an sehr banalen Beispielen aufzeigen, die jeder schon einmal erlebt hat: Finden Sie an einem Freitagnachmittag einen Augenarzt, wenn Sie nur eine banale Augenentzündung haben. Sie werden keinen finden. Was macht man? Man geht ins Spital, weil die Spitäler an 365 Tagen 24 Stunden geöffnet haben. Es wäre aber überhaupt nicht notwendig, dafür ins Spital zu gehen. Eine stärkere Versorgungswirksamkeit des niedergelassenen Bereichs ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um die Spitäler zu entlasten.

derStandard.at: Staatssekretär Schieder hat vorgeschlagen, kleine Spitäler unter 300 Betten zusammen zu legen, ist aber nach Protesten der ÖVP und der Länder schnell wieder zurückgerudert. War das Ihrer Meinung nach ein guter Vorschlag?

Wehsely: Das Problem liegt immer in der Verkürzung. Er hat viel mehr gesagt: dass es nicht darum geht, die Versorgung zu verschlechtern, sondern zu schauen, wie man eine sinnvolle Versorgung gewährleisten kann – eine Spezialisierung. Aus Wien gab es gar keinen Aufschrei, weil wir, im Gegensatz zu den anderen Bundesländern, genau das tun. Wir bauen das Krankenhaus Wien Nord und übersiedeln drei Spitälerstandorte dort hin. In Niederösterreich aber werden gerade gleichzeitig Krankenhäuser in Mödling und Baden errichtet.

derStandard.at: ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger hat vorgeschlagen, dass die Krankenhausaufenthalte um zwanzig Prozent reduziert werden sollen. Ist das durch Ärztegesellschaften möglich? Halten sie den Vorschlag für erstrebenswert?

Wehsely: Grundsätzlich schon. Ich habe noch niemanden getroffen, der gesagt hat: Wissen'S Frau Stadträtin, ich bin so gerne im Spital, könnte ich drei Tage länger bleiben? Man möchte möglichst gut behandelt werden, aber auch möglichst kurz. Es ist aber auch notwendig, dass der Rest der Versorgung klappt. Das heißt: die Ärztegesellschaften sollen Öffnungszeiten haben, durch die das Spital entlastet wird. Und da bin ich mit dem Kollegen Rasinger eigentlich vollkommen einer Meinung.

derStandard.at: Die ÖVP Wien hat vor einem Pflegenotstand gewarnt. Wird es den in Wien geben?

Wehsely: Wenn das Stimmverhalten der ÖVP relevant gewesen wäre, dann möglicherweise schon. Dann würden nicht alle Pflegewohnhäuser errichtet werden, die jetzt gerade gebaut werden. Die Stadt Wien ist der größte Ausbildner bei Pflegeberufen. Wir sind auf die demographische Entwicklung sehr gut vorbereitet. Was uns aber noch nicht davor befreit, über die Finanzierung reden zu müssen. Die Kosten für die Pflege steigen, für die Länder und auch für die Stadt Wien. Da wird der Bund etwas dazu beitragen müssen, damit nicht die Menschen draufzahlen.

derStandard.at: Es gibt Mutmaßungen, dass im Zuge der Budgetsanierung das Pflegegeld gekürzt wird. Was würden Sie davon halten?

Wehsely: Ich halte das eher für ein böses Gerücht. Beim Pflegegeld muss man zwei Dinge beachten: Das Pflegegeld wurde 1993 eingeführt. Würde das Pflegegeld heute gleich viel Wert sein, müsste es sofort um 16 Prozent erhöht werden. Die 16 Prozent merkt vor allem die Stadt Wien, weil wir diese Differenz tragen. Wir zahlen für ambulante und stationäre Pflege im Jahr rund 700 Millionen Euro.

Der zweite Punkt ist, wofür Pflegegeld ausgegeben wird. Das Pflegegeld ist nicht geschaffen worden, damit Mopeds vom Enkel finanziert werden. Das ist zwar nicht die Regel, kommt aber auch vor. Mit dieser Aussage mache ich mir jetzt sicher nicht nur Freunde, aber als Politikerin muss man auch manchmal heiße Eisen ansprechen. Wir müssen schauen, wie garantiert werden kann, dass das Pflegegeld auch für Pflege, nämlich professionelle Pflege, verwendet wird.

derStandard.at: Heißt das, dass die Vergabe der einzelnen Pflegestufen mehr kontrolliert werden soll?

Wehsely: Man sollte darüber diskutieren, ob das Pflegegeld zweckgebunden sein soll. Oder, dass die Heimhilfe für ein bestimmtes Stundenausmaß kommen muss, wenn ich eine bestimmte Pflegestufe habe. Das würde auch zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.

derStandard.at: Anfang des Monats kritisierten die Hebammen am AKH ihre Personalsituation: Es gebe zu wenig Hebammen, hygienische Mängel und mangelnde medizinische Ausrüstung. Wird es eine Personalaufstockung geben?

Wehsely: Der Direktor des Allgemeinen Krankenhauses, der dafür verantwortlich ist, hat sich dieser Frage sofort angenommen. Auch die Sanitätsbehörde hat geprüft und keinerlei hygienischen Mangel festgestellt. Ich habe bereits 2009 entschieden, dass 2011, 2012, 2013 jeweils ein neuer Jahrgang für die Hebammen-Ausbildung an der Fachhochschule beginnt. Davor begann nur alle drei Jahre ein neuer Jahrgang.

derStandard.at: Wie viel wird das Krankenhaus Nord, das 2015 eröffnet wird, kosten? Können Sie das Ziel von 825 Millionen Euro einhalten?

Wehsely: Das ist eine lustige Debatte. Es grenzt schon an Skurrilität und Dadaismus, dass manche behaupten, es gebe schon eine Kostenüberschreitung, obwohl noch nicht einmal ein Ziegelstein aufgestellt wurde. Uns ist gelungen, was nur sehr selten der Fall ist: Wir haben auf Grund der derzeitigen Planung einen Kredit der Europäischen Investitionsbank bekommen. Sie waren mehrmals, mehrere Tage da, um sich die gesamten Finanz- und Spitalsplanung anzuschauen. Dazu kommt, dass es neben der begleitenden Kontrolle, dem Kontrollamt und dem Rechnungshof eine zusätzliche Kontrolle der Europäischen Investitionsbank geben wird. Wäre die Zahl, die Sie genannt haben, nicht realistisch, hätte es den Kredit der Europäischen Investitionsbank auch nicht gegeben.

derStandard.at: Sowohl ÖVP als auch Grüne haben ihm Wahlkampf angekündigt, mit der SPÖ koalieren zu wollen. Wird die SPÖ die Absolute halten können?

Wehsely: Sie können sich sicher sein, dass ich in den verbleibenden vier Wochen alles tun werde, dass es so bleibt. Alleine deshalb, weil viele Dinge in meinem Ressort die SPÖ alleine entscheiden hat.

derStandard.at: Könnten Sie sich vorstellen mit der ÖVP oder den Grünen zu koalieren?

Wehsely: Ich will es mir nicht vorstellen.

derStandard.at: Es gibt das Gerücht, dass sie nach der Wahl Gesundheitsminister Stöger ablösen sollen.

Wehsely: Versuchsballone zu starten ist das, was den Journalisten immer am meisten Spaß macht. Hier soll Unruhe in der Wiener SPÖ gestiftet werden, aber das wird nicht passieren. (Lisa Aigner, Marie-Theres Egyed, derStandard.at, 16.9.2010)