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Einer war zu streiten gewillt: Nicolas Sarkozy mit Kommissionschef Barroso, den Premiers Tusk (Polen), Pahor (Slowenien), Socrates (Portugal) und Kanzlerin Merkel (v. rechts im Uhrzeigersinn).

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Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy mit seinem rumänischen Kollegen Traian Basescu.

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Brüssel - Die Kritik der EU-Kommission an der französischen Praxis der Abschiebung von Roma führte am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel zu einem Eklat. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy verlangte von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso eine Distanzierung von Grundrechtekommissarin Viviane Reding. Barroso wies dies in einem Wortgefecht vor den Staats- und Regierungschefs zurück. "Die Kommission hat Frankreich beleidigt", sagte Sarkozy.

Sarkozy habe versucht, die Kritik an Reding vor die Roma-Frage zu schieben, berichteten Teilnehmer. Seine Kritik an Redings Wortwahl wurde zwar geteilt. Aber Barroso betonte, dass es das Recht und die Pflicht seiner Behörde sei, gegen mögliche Verstöße gegen EU-Recht vorzugehen. Rückendeckung kam von Bundeskanzler Werner Faymann: "Die Kommission ist Hüterin der Verträge und hat darüber zu entscheiden, ob es sich um Vertragsverletzung handelt oder nicht." Das gelte "für Frankreich genauso wie für kleinere Länder. Da kann es nicht zwei verschiedene Größen geben." Paris hatte erklärt, so behandle man keinen großen Staat.

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"Wir wollen das Problem lösen, aber mit weniger Spannungen gelingt das besser", sagte der Präsident des Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek, Donnerstag am Rande des EU-Gipfels in Brüssel zu den Beratungen über die Lage der Roma. Eine "gemäßigtere Wortwahl" sei angesagt, die Problematik beschränke sich auch "nicht nur auf ein Land, eine Partei oder eine Minderheit", sondern betreffe ganz Europa, so Buzek.

Der Parlamentspräsident trifft sich mit den Staats- und Regierungschefs immer am Beginn der Sitzung. Dann muss er wieder gehen. Buzek brachte damit aber auf den Punkt, was die meisten der versammelten Spitzen der Union anstrebten: Deeskalation.

Aber es wollte nicht so richtig klappen. Einem von ihnen, dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, war nicht nach Entspannung zumute. Er war "nicht sauer, er war stinksauer", hieß es, als das Roma-Thema beim Mittagessen zur Sprache kam.

Reiche Nahrung für Debatte

Serviert wurden dabei übrigens gebratene Jakobsmuscheln mit Speck, jungem Spinat und Erbsenschaum, gefolgt von Rinderfilet mit Steinpilzragout und Fruchtminestrone zum Abschluss. Nachdem die Regierung in Paris die Kritik von EU-Grundrechtskommissarin Viviane Reding ("Schande") vom Dienstag als "Entgleisung" zurückgewiesen hatte, bestand Sarkozy - unterstützt von Italiens Premier Silvio Berlusconi - darauf, diese Frage anzusprechen. Die geplante Tagesordnung - die Strategie bei den EU-Außenbeziehungen zu wichtigen Partnern wie China, Indien und Russland - traten völlig in den Hintergrund (siehe unten). Berlusconi, dessen Regierung seit längerem durch Roma-Abschiebungen selber in der Kritik steht, erklärte, es gelte "eine gemeinsame Position zu finden" . Der Italiener war verspätet dazugestoßen. Der Pilot seiner Maschine musste wegen eines gebrochenen Fensters in Mailand notlanden.

Als Sarkozy das Wort ergriff, war die Spannung groß, "es war ganz still, die Wortmeldungen emotional" , erzählte ein Teilnehmer. "Die EU-Kommission hat Frankreich verletzt" , startete Sarkozy seine Angriffe, die vor allem Grundrechtskommissarin Viviane Reding galten. Deren Aussagen seien "skandalös" gewesen. Er verlange, dass Kommissionspräsident José Manuel Barroso sich von ihr distanziere.

Barroso parierte, verteidigte das Vorgehen der Kommission: Sie habe nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, gegen mögliche EU-Vertragsverletzungen vorzugehen. Mehrere Regierungschefs, darunter auch Faymann oder die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, unterstützten ihn dabei ausdrücklich. Merkel sagte, das Vorgehen der Behörde wäre "wirkungsvoller, wenn sie in gemäßigterem Ton ausfallen" würden.

Reding hatte zu den Abschiebungen gesagt, sie habe geglaubt, "dass Europa das nicht mehr erlebt nach dem Zweiten Weltkrieg". Vor dem Gipfel stellte sie aber klar, dass diese "in keinem Zusammenhang mit den Geschehnissen während des Weltkrieges stehen". Mit der Kriegsmethapher zeigten sich auch andere Regierungschefs "wenig glücklich". Man vereinbarte schließlich, dass die Kommission bis Oktober Vorschläge vorlegen soll, wie man die Lage der Roma verbessern könne.

Sarkozy erklärte dann vor Journalisten, dass er und seine Regierung sich "absolut nichts" vorzuwerfen hätten: "Wir werden die Räumung illegaler Lager fortsetzen." (Thomas Mayer aus Brüssel/DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2010)