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Muss die Notbremse ziehen:ÖBB-Chef Christian Kern.

Foto: APA/Roland Schlager

Der neue ÖBB-Chef Christian Kern hat signalisiert, dass in näherer Zukunft weitere Nebenbahnen geschlossen werden könnten. "Die Maßnahmen, die wir in den nächsten Monaten setzen müssen, sind nicht allseits beliebt, aber es gibt keine Alternativen", sagt Kern. "Wer Alternativen will, muss sagen, wer die Rechnung dafür zahlt. Wir können nicht länger der Lastesel sein, der mit weiteren Rucksäcken beladen wird." Auf konkrete Strecken geht Kern aber nicht ein. Zuerst müsse man die beteiligten Partner informieren.

Warum die ÖBB auch künftig Berater braucht, über den Brenner Verluste einfährt und 29 Nebenbahnen erst nach den Wahlen zugesperrt werden, erklärt ÖBB-Holding-Chef Christian Kern. Gefragt hat Luise Ungerboeck.

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STANDARD: Haben Sie schon einen Ersatz für SPÖ-Justizsprecher Jarolim gefunden, der als Rechtsanwalt für die ÖBB gegen Kritiker vorgeht?

Kern: Es ist so, wie wir es gesagt haben. Es gibt kein Gutachten, wir brauchen auch keines, weil wir zur Einschätzung gekommen sind, dass staatspolitische Verantwortung nicht einklagbar ist. Diese Entscheidung haben wir gemeinsam getroffen. Es ist nicht richtig, wenn es heißt, der Auftrag für ein Gutachten sei zurückgezogen worden. Er wurde nie erteilt.

STANDARD: Sie haben sich mit dieser Entscheidung klar gegen Aufsichtsratspräsident Horst Pöchhacker gestellt. Wie lang man so etwas aushält, hat UniCredit-Chef Alessandro Profumo eindrücklich vorexerziert. Sind Sie amtsmüde?

Kern:Nein, absolut nicht. Wir haben das gemeinsam entschieden, weil so eine Aktion letztlich zu nichts führt und wir können es uns gar nicht leisten, den SPÖ-Justizsprecher zu mandatieren.

STANDARD: Und Sie brauchen auch keine anderen Ratgeber?

Kern: Nein. Wobei ich schon erstaunlich finde, was unter dem Deckmantel der Immunität praktiziert wird in Österreich, nur um damit Wähler zu beeindrucken. Inakzeptabel finde ich, dass man permanent versucht, uns Parteienfinanzierung zu unterstellen.

STANDARD: Das Roland-Berger-Sanierungskonzept hat 800.000 Euro gekostet. War es so schlecht, dass Sie jetzt neue Berater brauchen?

Kern: Wir machen die Restrukturierung jetzt ohne Berater. Das Grundproblem bei der ÖBB ist immer dasselbe:Es wurden Berge von Analysen produziert, aber nichts sauber umgesetzt. Das ist auch das Problem mit dem Roland-Berger-Papier: viele gute Ansätze, aber teils "Fabel-Ziffern" .

STANDARD: Es waren alle Führungskräfte involviert, bis hin zu sämtlichen Vorständen der Teilkonzerne.

Kern:Egal, wir müssen aufhören, Konzepte zu machen, um sechs Monate später den Kurs zu wechseln. Wir führen jetzt Produktion und Verschub zusammen. Ich kann nicht akzeptieren, dass die, die im Dezember einen Beschluss gefasst haben, Mitte 2010 die Spielregeln ändern. Das ist nicht mein Verständnis von gutem Management. Es geht auch nicht, dass wir 2008 MávCargo kaufen und hinterher war niemand dabei, niemand kennt den Kaufvertrag.

STANDARD: Der Personenverkehr gibt 95.000 Euro für Berater für den Schaffnerlos-Betrieb aus, 99.000 Euro für die Ausschreibung in Rosenheim, 150.000 Euro für die Expertise von Ex-SBB-Vorstand Paul Blumenthal. Gibt es irgendwas, das die ÖBB ohne Berater zustandebringt, außer Verluste-Einfahren?

Kern: (lacht) Sie werden staunen, im Vergleich mit den ATX-Unternehmen ist die ÖBB nicht der größte Beratungspatient. Ein so großer Konzern wird punktuell immer Fachexpertise brauchen, weil es zu teuer wäre, sie ständig bereitzustellen. Ich habe auch nie gesagt, dass wir keine Beratung brauchen, aber wir kaufen sie sehr sparsam zu. Die 150.000 Euro sind auch nicht Blumenthals Honorar, sondern der maximale Kostenrahmen. Aber Sie haben Recht, wir hatten bisher viele Berater und sehr viel eigenes Know-how.

STANDARD: Warum fährt der Personenverkehr am Brenner heuer zwölf Millionen Euro Verlust ein? Geplant waren nur vier ...

Kern: Wir wurden von den Italienern massiv behindert, mussten Loks teuer anmieten und das Marktpotenzial wurde auch noch gewaltig überschätzt. Strategisch bleibt es trotzdem interessant.

STANDARD: Von 73 Millionen Zugkilometern im Nahverkehr erbringt die ÖBB drei Millionen eigenwirtschaftlich, also ohne Subvention, aber dafür mit Verlusten. Sind daran die 29 Nebenbahnen schuld? Wann fahren Sie Postbus statt Zug?

Kern: Wir sind dabei, Konzepte zu entwickeln, um im kommenden Wettbewerb im Personenverkehr bestehen zu können. Dafür müssen wir in allen Bereichen Strukturen anpassen, Kosten und den Personaleinsatz bei der Produktion senken. Was Nebenbahnen und andere Maßnahmen betrifft, sind, Sie verzeihen, vorher die Stakeholder zu informieren. Klar ist aber, dass Zusperren eine Abwärtsspirale in Gang setzt, die nicht in die Zukunft führt. Es muss uns gelingen, mehr Fahrgäste und Güter zu besseren Preisen auf die Schiene zu bringen.

STANDARD: Sie machen es bei Nebenbahnen, Stückgut und Personalabbau wie die Regierung: Die Sparschiene kommt nach der Wahl. Die ÖBB würde sich durch die Nebenbahnenschließung 170 Millionen Euro Investitionen ersparen. Wann schließen Sie?

Kern: In Wien sind Nebenbahnen kein Thema. (lacht) Aber es ist richtig, der Aufwand ist enorm und wir würden uns viel ersparen. Die Maßnahmen, die wir in den nächsten Monaten setzen müssen, sind nicht allseits beliebt, aber es gibt keine Alternative. Wer Alternativen will, muss sagen, wer die Rechnung dafür zahlt. Wir können nicht länger Lastesel sein, der mit Rucksäcken beladen wird. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.9.2010)