"Das wäre die schönste Genugtuung, dass dieses Netzwerk mich nicht in die Knie gezwungen hat", Franz Voves zu seinem Konflikt mit der Kronen Zeitung.

 

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"Sie haben für Integration geworben. Warum haben Sie sich von der FPÖ nicht klar abgegrenzt?" Michael Ostrowski zu Franz Voves.

 

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STANDARD: Mal ehrlich: Was sagen die letzten Umfragen? Es heißt, eine Partei liegt bereits deutlich vorn.

Voves: Es steht Kopf-an-Kopf. Wir wissen erst am Sonntag, wer die Nase vorne hat. Und auch, ob die FPÖ in die Landesregierung kommt oder nicht.

Ostrowski: Jetzt am Ende des Wahlkampfes, haben Sie nicht oft das Gefühl, es reicht langsam?

Voves: Ja. Ich bin froh, dass es nur wenige Wochen Wahlkampf waren. Fünf, sechs Wochen. Das ist das Maximum, das man der Bevölkerung zumuten kann.

Ostrowski: Sie müssen im Wahlkampf eigentlich immer die Hose runter lassen, sie werden angegriffen, müssen vielleicht sogar private Dinge rechtfertigen und auf Fragen antworten, für die Sie gar keine Antwort haben. Ich frage mich, wie machen Politiker das? Wie machen Sie das, dass Ihnen das alles nichts anhat. Haben Sie sich da einen Panzer zugelegt oder ein Maske oder berührt Sie das alles gar nicht?

Voves: Ich versuche wirklich immer der zu sein, der ich bin. Ich will authentisch bleiben. Ich kenne natürlich Politikerkollegen, die haben auf die Frage zwölf die Schublade zwölf als standardisierte Antwort parat, aber genau das wollen die Menschen nicht mehr, glaube ich. Ein Politiker wird geschätzt, wenn er ganz normal redet, wenn man das Gefühl hat, da kommt eine ehrliche Antwort daher. Dass ein Politiker auch mal sagt: Tut mir leid, aber das weiß ich nicht.

STANDARD: Aber ein bissl haben Sie sich ja doch gezügelt. Sie sind weniger emotional als am Anfang.

Voves: Wenn ich große Ungerechtigkeit empfinde, dann gibt es auch emotionale Reaktionen bei mir. Aber mehr als zwei dreimal ist das öffentlich nicht passiert. Interessant, dass ich immer wieder darauf reduziert werde. Aber ich glaube, es hat nicht geschadet, dass ich emotionell etwa die die Frage der Verteilungsgerechtigkeit gestellt habe, oder?

Ostrowski: Man kennt Sie als einen, der Stellung bezieht und aus dem Bauch agiert. Mich interessiert, wie geht es Ihnen, wenn Sie aufgeweckt mit den Paldauern Volksmusik machen und eine Stunde später seriös mit Uni-Professoren reden. Wie derpacken Politiker diesen Spagat?

Voves: Ich hatte das Glück, viele Lebenssituationen kennenzulernen. Ich bin in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, bin über den Profisport, später die Universitäten in die Finanzwirtschaft gekommen. Für mich ist das kein Spagat, weil ich in vielen Welten zuhause bin. Ich muss mich nicht verstellen. Man muss als Politiker stündlich in ein komplett anderes Ambiente wechseln können. Es ist nicht gespielt oder aufgesetzt. Es gibt natürlich auch Welten, in denen ich nicht zu Hause bin. Zum Beispiel im technische Bereich. Da stehe ich oft davor mit ehrlicher Begeisterung und hab überhaupt keine Ahnung.

Ostrowski: Sie sagen immer, sie sind von ihrer Herkunft geprägt. Was haben sie da aus ihrem Elternhaus mitgenommen?

Voves: Die absolute Prägung war mein Vater, er war ein kommunistischer Betriebsrat bei Steyr-Puch. Er war sogar kurz Zentralbetriebsrat bei Puch, bis ihn Rot und Schwarz gestürzt haben, weil er zu beliebt war. Aber wenn du aufwächst in so einem Umfeld, wo du in einer Familie lebst, die in der Siedlung angefeindet wird: Das prägt total. Was hat man meiner Mutter nicht alles gesagt in der Arbeit, was habe wir Kinder uns in der Arbeitersiedlung nicht alles anhören müssen, weil der Vater bei der KPÖ war. Oder in der Schule: Der Vater vom zu früh verstorbenen Literaten Wolfgang Bauer war mein Geschichtsprofessor und Klassenvorstand. "Du Kommunistenbua wirst net mei Klass verderben" , hat er mir gesagt.

Ostrowski: Und Ihre Mutter? Hat sie dann später, als sie in der Politik waren, Sie gewählt oder noch immer kommunistisch?

Voves: Sie hat in Graz immer den Ernest Kaltenegger gewählt. "Bei dir ist es was anders" , hat sie dann gesagt, als ich in die Politik ging.

STANDARD: Haben Sie auch "Das Kapital" von Karl Marx gelesen?

Voves: Nach ein paar Seiten bin ich, wie viele andere, ausgestiegen. Ich bin ja kein Ideologe, aber in meinen Werthaltungen komme ich immer wieder auf meine elterliche Basis zurück. Ein Mann, der mir sehr viel bedeutet, hat zu mir kürzlich gesagt: ,Und jetzt bist beim Papa wieder angekommen‘. Ich möchte wirklich, auch wenn Sie es mir nicht glauben, dorthin etwas zurückgeben, wo ich herkomme.

Ostrowski: Ich frage mich immer, auch wenn Sie das jetzt so sagen, warum ist es so, dass nach der Finanzkrise und all den Wirtschaftsskandalen, warum ist es eigentlich der SPÖ nicht gelungen, ganz klar mit dieser Gerechtigkeitsmessage zu punkten?

Voves: Weil man nichts extrem machen darf. Ich versuche in der Steiermark einen Weg der Mitte zu gehen. Die SPÖ muss beides leben. Du musst wissen: ohne Wirtschaftswachstum gibt es keine Beschäftigung und du kannst nichts umverteilen. Da kannst du dich höchstens ins Franziskanerviertel setzen und bei ein paar Bier über Ideologie diskutieren. Nur welche Folgen hat es für die Bevölkerung, wenn es kein Wirtschaftswachstum gibt? Die Wirtschaft muss daher konkurrenzfähig bleiben. Also ist für mich wichtig: Ich brauche eine starke wirtschaftliche Steiermark, Infrastruktur, Forschung und Bildung. Nur wenn ich diese Voraussetzungen schaffe, kann ich dann als Sozialdemokrat soziale Gerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit einfordern. Da kommt es jetzt auch im Bund zur großen Nagelprobe für die SPÖ. Ich hoffe nur, es gelingt bei den Budgetverhandlungen ein Resultat zu erzielen, das die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokraten unterstreicht. Ich habe mich eingebracht und ich vertraue dem Regierungsteam, jetzt das Beste zu machen.

STANDARD: Da taucht natürlich das Bild der kurzen Ära Gusenbauer auf. Da gab es auch die Frage der Glaubwürdigkeit, und übrig geblieben ist damals das Image der Umfallerpartei.

Voves: Die Sozialdemokratie muss die Anliegen der Verteilungsgerechtigkeit glaubhaft und nachvollziehbar rüberbringen, dass sie das wirklich politisch umsetzen will. Ein "Über-den Tisch-ziehen" darf es nicht mehr geben. Es geht um einen gerechten Anteil der Menschen an der Wohlstandsvermehrung. Die Gutverdiener haben unglaublich profitiert und die Kleinen sind stehengeblieben. Man muss endlich auch thematisieren, was haben die eigentlich in den letzten Jahrzehnten an Steuervorteilen lukriert. Oder im Großen: Es traut sich niemand, keine Regierung, den Finanzmarkt zu regulieren.

Ostrowski: Warum?

Voves: Weil die neoliberalen Mächte, die im Hintergrund die Politik mitsteuern, unglaublich stark sind. Weil die Wirtschaft, die großen Kräfte der Wirtschaft die Politik längst overruled haben. Und weil es kaum noch couragierte Politiker gibt, die bereit sind, das Steuerruder wieder an sich zu ziehen. Es gibt auch eine unglaubliche materielle Abhängigkeit der Politiker vom Politikerjob. Es geht hier net um Ideologie. Wir brauchen wieder mehr unabhängige Politiker.

Ostrowski: Gut, aber nocheinmal: warum schafft es die SPÖ dann nicht, wenn sie das Problem erkennt, dieses Thema auch öffentlich deutlich zu machen?

Voves: Na ja, da kann es passieren, dass man in der Medienwelt auf Kräfte stößt, die sich angegriffen fühlen, weil in ihrem Eigentümerhintergrund auch ganz Große sitzen. Denken sie an die großen Medienblöcke, die dich hinauf- oder hinunterschreiben, die dich machen oder nicht machen. Wenn du etwa eine Stiftungsbesteuerung zur Diskussion stellst, so wie ich es gemacht habe, und der Herausgeber der großen Tageszeitung sein Vermögen ebenfalls in einer Stiftung geparkt hat, kann es schon sein, das du dann aneckst. So wie ich damals vor eineinhalb Jahren.

STANDARD: Sie meinen ihren Konflikt mit der "Kronen Zeitung , die Sie seit Monaten im Visier hat und deren Chefredakteur nun im Falter eine Wahlempfehlung für den VP-Herausforderer Hermann Schützenhöfer abgegeben hat.

Voves: Ja, aber ich will das gar nicht mehr ausbreiten. Das scheint eh nicht aufzugehen. Ich sage ihnen eines: Am meisten stolz werde ich am Sonntag sein, wenn trotz all dieser Mächte, die auf mich gewirkt haben, die Menschen nochmal sagen: relative Mehrheit für Franz Voves. Das wäre die schönste Genugtuung, dass dieses Netzwerk, das es rund um die Politik gibt, mich nicht in die Knie gezwungen hat.

STANDARD: Sieht man in der Steiermark nach den fünf Jahren bereits eine sozialdemokratische Handschrift?

Voves:  Ich glaub schon. Gabi Burgstaller sagte mir, sie weiß, dass fünf Jahre nach 60 Jahren ÖVP nicht ausreichen. Du brauchst zwei Perioden, um diese Waben der Macht aufzuhellen. Ich denke, wir sind offener geworden, und die Bevölkerung will nicht zurück, so wie es die ÖVP plakatiert. Die tun ja noch immer so, als gehöre ihnen die Steiermark, als sei die Steiermark ohne ihre Führung nicht die Steiermark gewesen.

Ostrowski: Sie haben im Wahlkampf offen für Integration geworben. Warum sind Sie nicht weitergegangen und haben einen klaren Trennstrich zur FPÖ gezogen, sich klar abgegrenzt? Ist das nur Koalitionstaktik?

Voves: Warten wir ab, vielleicht ist die Frage gar nicht zu diskutieren. Und die FPÖ kommt gar nicht in die Regierung. Wir machen alle einen Riesenfehler. Wir gehen auf die Provokation der FPÖ ein, wir machen ihnen immer diesen Gefallen. Ich habe auf das Minarett-Spiel daher mit Ignorieren geantwortet, das ist mir leider falsch ausgelegt worden. Aber ich werde anders antworten: Wir haben als einziges Bundesland einen Integrationsbeirat ins Leben gerufen mit allen NGOs unter der Führung unter anderem von Caritas-Präsidenten Franz Küberl. Ich war vor Ort in den Brennpunkten, ich weiß worum es geht und dass es Probleme gibt. Und wir müssen auch Verständnis haben für jene, die nachvollziehbar Probleme mit ausländischen MitbürgerInnen haben, und helfen, diese Probleme aktiv zu lösen. Wir haben vereinbart, dieses sensible Thema nicht in den Wahlkampf zu ziehen, um den rechten Parteien keinen Anlass zu geben. Ich verspreche Ihnen aber eines: Wenn ich es am Sonntag schaffe, dann werde ich mit derselben Energie, mit der ich für die Verteilungsgerechtigkeit eintrete, die Integration zum ganz großen Thema der nächsten Regierungsperiode machen.

(Walter Müller, DER STANDARD, Printausgabe, 23.9.2010)