Wien - "Seit den Terrorattacken vom 11. September 2001 dominieren die Probleme ,Palästina, Islam, Irak und Terrorismus'. Wir sollten aber aufpassen, dass der Anschlag auf das World Trade Center nicht einen ähnlichen Status bekommt wie Christi Geburt", konstatierte der syrische Philosoph und Menschenrechtsaktivist Sadik Al-Azm zu Beginn des jüngsten Montagsgesprächs im Haus der Musik. Denn ein "apokalyptischer Diskurs", sagte er, sei nur im Interesse der US-Regierung. Die dadurch kreierte Angst ermögliche den Amerikanern, dem Rest der Welt "ihre Agenda aufzuzwingen".

Die USA, führte Al-Azm weiter aus, "übernehmen eine Rhetorik, die wir von westlichen Demokratien nicht gewohnt sind." Seitdem US-Präsident Bush etwa die "Achse des Bösen" benannt hatte, sei fraglich, ob die Suche nach einer Definition des "Bösen" überhaupt sinnvoll sei. Ihn selbst, meinte Al-Azm, erinnere die Formulierung sehr stark an den Iran, "der die USA jahrelang als ,großen Satan' bezeichnete".

Ein differenzierteres Konzept von Terrorismus sei der Wunsch der Kriegsgegner gewesen, meinte Al-Azm. Die weltweiten Demonstrationen hätten somit geholfen, zu verhindern, "dass dieser Krieg wie ein Kreuzzug der Christen gegen den Islam aussah" und hätten "Hardcore-Islamisten" den Wind aus den Segeln genommen.

Der "christlich-fundamentalistische Diskurs amerikanischer Politiker verhärte hingegen die Fronten, meldete sich nun der Wiener Politwissenschaftler John Bunzl zu Wort: "Wenn führende Republikaner den Propheten Mohammed ungestraft als Terroristen bezeichnen, dann geht das durchaus in Richtung eines Clash of Civilisations."

Identität statt Religion

Dabei, meinte Bunzl, "gibt es den Islam als politischen Akteur doch gar nicht: Politisch handeln tun Staaten, und Staaten, die sich auf den Islam berufen, haben eine Vielfalt von Politik, die man keineswegs allein durch den Islam erklären kann." Die Schiiten im Irak seien ein Beispiel dafür. Schiitentum im Irak sei viel mehr eine Identität als eine Religion.

Die Frage, welche politische Interpretation welcher Situation zuzuschreiben sei, "hängt von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Faktoren ab", sagte Bunzl. In Palästina etwa wäre es "falsch, anzunehmen, dass die Gründe für die Konflikte im Islam liegen, sondern hier werden religiöse Argumente gebraucht, um den eigenen Narrativ und die eigene Perspektive zu stärken", betonte Bunzl.

"Der Islam ist ein Teil der Moderne", konstatierte nun der Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker: "Er ist in allen transnationalen Netzwerken vorhanden, das heißt: Wir finden ,im Islam' jede politische Strömung der Moderne, in einer spezifischen Traditionsform formuliert", meinte er. Darin seien aber auch "autoritäre Bewegungen mit menschenfeindlichen Vorstellungen" enthalten, wie die Attentate in New York zeigen.

Andererseits aber "finden wir liberale Denker", die sich mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auseinander setzen und versuchen, islamische Antworten auf Vorstellungen der Demokratie zu formulieren, hob Lohlker hervor. Die Konferenzen der irakischen Opposition zeigen, dass die Anerkennung der Menschenrechte und eines föderalistischen Staatskonzepts auf der Agenda stünden. Lohlker sah ein "großartiges Experiment, das wir nicht durch vorschnelle Definitionen von dem, was islamisch oder nicht-islamisch ist, abwürgen sollten": Und eine Wirklichkeit, die auch dadurch geprägt sei, dass westliche Mächte Diktaturen im arabischen Raum unterstützten "in Anbetung des Fetisch der Stabilität."

El Said El Shahed, Leiter der islamischen religionspädagogischen Akademien in Wien, war um das "richtige Bild" bemüht: "Der Islam versteht sich als die abschließende, monotheistische Religion, wobei es sich nicht um die Aufhebung, sondern um die Einschließung der vorherigen Religionen handelt: Wenn ich Muslim bin, dann bin ich auch Christ und Jude", strich er hervor. Im Unterschied zu anderen sei der Islam aber eine gesellschaftliche Religion, "das heißt: Er muss gelebt werden." Ein Mensch, der betet und fastet, aber einen schlechten Umgang mit anderen habe, sei kein guter Muslim. Daher "verurteile ich die Ereignisse vom 11. September, weil man den Grundsätzen Mohammeds zufolge keine Zivilisten töten darf", so El Shahed.

Westliche Lesart

Das größte Problem liege in der Tatsache, dass "die USA den 11. September nur westlich lesen", was die muslimische Welt in eine "Aussichtslosigkeit angesichts der Feindseligkeit der USA" treibe. Der Westen müsse versuchen, "den Islam zu verstehen und dabei auch von Muslimen trennen, die wie andere Menschen dem Streben nach Macht verfallen können."

"Wie wäre es, wenn sich die Sunniten bei den Schiiten entschuldigen würden? ", provozierte nun Philosoph Al-Azm, und: "Wie viele Muslime versuchen, das Christentum von den Christen zu trennen?" Der Philosoph sah eine Lösung anders: "Der politische Islam ist gescheitert und mir scheint, dass es heute einen Konsens über Fragen zur Zivilgesellschaft und Demokratie gibt, den sogar die Islamisten begrüßen. Die Islamisten werden eine politische Kraft unter anderen sein, wenn sie die Demokratie mit Minderheitenrechten akzeptieren." (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 30.4.2003)