Sämtliche Räume der ORF-Wissenschaft werden mit Kruzifixen bestückt. Zeitgeschichte hat katholischer zu werden, "Newton" präsentiert künftig ein Pfarrer in der neuen ORF- Hauskapelle, die journalistische Arbeit beginnt mit Morgenandacht und Morgenbeichte. Dieses Szenario könnte man wohl als künftige Arbeitsrealität für ORF-Wissenschaftsjournalisten skizzieren würde man jene Bestürzung teilen, die in den letzten Tagen mehrfach durch den Blätterwald rauschte. Da wird vor der Fusionierung der TV-Hauptabteilungen Wissenschaft und Religion gewarnt. In semantischer Anlehnung und Bestätigung der Skeptiker könnte man nun erwidern: In dieser Wahrnehmung verbirgt sich schon die fatale Tücke der Sünde: "Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider Deinem Nächsten, auch dann nicht wenn zwei oder drei Gerechte im Namen des Herrn zusammenstehen." Denn Wissenschaft und Religion bleiben zwei eigenständige Hauptabteilungen, geleitet werden sie nun von TV-Religionschef Gerhard Klein.

Selbstverständlich ist in einem katholischen Land wie Österreich Vorsicht und Sensibilität geboten. Nicht einmal einhundert Jahre ist es her, da zogen Millionen für "Gott, Kaiser und Vaterland" in den Ersten Weltkrieg. Der Wissenschafts- und Demokratie-skeptische Klerus ließ im Jahr 1918 den republikanischen Geburtsprozess zur Zitterpartie werden. Zwischen dem 1.Mai 1934 und dem 12. März 1938 ging das Recht nicht vom Volk sondern von Gott aus. Der politische Katholizismus trägt Mitverantwortung an der Spaltung und Fragmentierung der damaligen Gesellschaft. Das Sündenregister ist groß, der lange Arm der katholischen Tradition reicht weit in die Zweite Republik. Die einstige Liberalen-Chefin Heide Schmidt hat sich mit der Forderung nach Entfernung der Kruzifixe aus den Klassenzimmern politisch gleichsam selbst exekutiert. Ebenso in Erinnerung ist der heftige Disput als Kardinal Christoph Schönborn der Evolutionstheorie ein "Design Gottes" entgegensetzte.

Wer hat die Genese dieser Konflikte und ihre Hintergründe im Fernsehen erörtert, die ideologischen Kontrapunkte zur spannenden Reproduktion der Standpunkte gemacht? Neben einer Reihe von Dokumentationen in der ORF-Wissenschaft war es vor allem die TV- Religion in Kreuz und Quer und im Philosophicum. Dort gehen die Wissenschaftseliten des Landes bereits seit Jahren ein und aus.

Die von Gerhard Klein und seiner Mannschaft in Auftrag gegebene "Pfarrerstudie" hat weit über Österreichs Grenzen Beachtung gefunden. Wer also Klein heißt muss weder Kleingeist noch Großinquisitor sein. Klein hat sich bereits als neuer Chef vorgestellt: ein interessanter Zeitgenosse, ein wacher Neugieriger, der, wie ich bemerke, sogar über die Grundsätze der Aufklärung informiert ist.

Die weltoffene, kritische Religionsberichterstattung seines Vorgängers Peter Pawlowsky hat Klein jedenfalls fortgesetzt, trotzdem scheint er plötzlich in das geistige Umfeld jener gerückt, die seinerzeit Galileo Galilei vor das Inquisitionsgericht zerrten. Doch nicht nur er sondern auch die dazugehörenden journalistischen Mannschaften sind mit dem Verdacht der Infizierung konfrontiert.

Doch wer glaubt wirklich ernsthaft dass sich etwa 30 kompetente Wissenschaftsredakteure plötzlich an die ideologische Kandare nehmen lassen, ihre journalistische Betriebsamkeit neuerdings an den zehn Geboten orientieren und die Grundsätze des Redakteur-Statutes, gleich einer kollektiven Amnesie zu Gunsten einer neuen Weihrauchkultur in Wort und Bild vergessen?

Würde ich der Religionsabteilung angehören könnte ich mir denken: meine jahrelange, auf Unabhängigkeit und kritische Distanz gebaute Berichterstattung in der "Orientierung" ist offensichtlich recht wenig wahrgenommen worden. Ja mehr noch, ich wäre angesichts kommender ORF- Strukturdebatten vor einer möglichen Renaissance der Mentalreservation geängstigt. Denn konzentrischen Kreisen gleich ist die Skepsis auf andere Kombinationen ebenfalls übertragbar. Religion und Kultur?

Na schrecklich! Man kennt ja die historisch gewachsenen Spannungen zwischen Kirche und Kunst, Kirche und Moderne. Die Kombination Religion und Magazine? Ausgeschlossen! Bitte die Trennung von Staat, Kirche und Politik zu beachten! Daher hat die Abteilung Religion auch nichts im Umfeld der FI1- Information verloren. Religion und Sport? Das hat uns gerade noch gefehlt! Prohaska und Schönborn als Kommentatoren im Ernst-Happel-Stadion! Die Konsequenz: ab in die Dauerquarantäne, ihr Grottenkinder, mitsamt "Kerzenschlecker-Klischees" und Generalverdacht.

Apropos Generalverdacht: Bei der aktuellen Debatte scheint in Kreisen kritischer Wissenschafter und Publizisten auch eine recht manifeste, generelle Skepsis gegenüber dem "dummen Medium Fernsehen" mitzuschwingen ...

Wir werden künftig als zwei recht kreative und neugierige Gruppen von Wissenschafts- und Religionsjournalisten ebenso unabhängig arbeiten wie bisher. Wir haben aber auch die Chance die Synergien des Fachjournalismus zu bündeln, können breites interdisziplinäres Denken als Herausforderung betrachten. Als verordnete Anleitung zum journalistischen Unglück sehe ich diese Kontaktnahme daher wahrlich nicht.

Den stetigen Wandel in dieser schnelllebigen Welt werden wir künftig mit ebensolcher professionellen Neugierde betrachten, wie wir das bisher getan haben. Skeptiker gibt es, doch trotzdem kann ich nur sagen: Bleiben sie weitgehend heiter und entspannt. Gestehen sie auch uns jene historische Sensibilität, geistesgeschichtliche Kenntnis und demokratiepolitische Reife zu, die Triebkraft Ihrer öffentlichen Bestürzung ist. (Andreas Novak/DER STANDARD, Printausgabe, 24.9.2010)