Wien - Elfriede Rauscher hat keine Lust, noch einmal von vorn anzufangen. "Das tue ich mir nicht an", sagt die Chefin des Marktstandes "Kraut-Elfi". Jahre habe es gedauert, bis regelmäßig Kundschaft zu ihr gekommen sei.
Und man muss tatsächlich ziemlich genau wissen, wonach man sucht, um zur "Kraut-Elfi" zu finden. Sie liegt in der weit verzweigten Halle auf einem schmalen Nebeneinkaufspfad. "Am Anfang habe ich am Eingang Salzgurken und Paprika verteilt, damit die Leute auf mich aufmerksam werden", sagt sie. Seit 15 Jahren steht Rauscher, grüne Weste, kurzes dunkles Haar, nun an ihren Bottichen. Neben Kraut und eingelegtem Gemüse verkauft sie auch alte Bücher und Spielzeug, "da kommt ein bisschen Geld für kranke Kinder zusammen". Von Montag bis Samstag steht Rauscher an ihrem Marktstandl, das mehr wie eine bewohnte Vorratskammer aussieht.
Über dem Holzregal hinter der Budel hängt eine Rapid-Fahne - Rauscher verpasst kein Spiel der Hütteldorfer -, daneben ein paar gerahmte Urkunden. Das Marktamt hat sie zur "beliebteste Standlerin von Wien" ernannt, der 15. Bezirk zur "Frau des Jahres". Und jetzt will sie mit "Kraut-Elfi" Schluss machen. "Immer noch besser als umziehen", sagt Rauscher und lässt sich auf einem der beiden grün-weiß gepolsterten Sessel mit der Aufschrift "Meistersitz" nieder. "Weil dann finden mich die Leute ja erst wieder nicht." Rauscher ist nicht die Einzige, die bald das Feld räumen muss: Weil auf die Markthalle in Rudolfsheim-Fünfhaus ein Wohnhaus gebaut wird, müssen 15 der rund 60 Standler für ein Jahr in andere Teile der Halle umziehen. In den nächsten Wochen will ein vom Bauträger eingesetzter Mediator zwischen Standlern und Stadt vermitteln.
"Ein Wahnsinn"
Einige fürchten, dass die bereits jetzt nicht gut laufenden Geschäfte nach dem Umzug ganz einbrechen werden. Zudem hält sich hartnäckig das Gerücht, der Markt könnte nach Fertigstellung der 70 neuen Wohnungen darüber abgesiedelt werden - was das Marktamt dementiert. Dem Chef des "Balkan-Markts" ist schon ein Jahr Provisorium zu viel. "Wenn hier Baustelle ist, kommen doch keine Leute mehr", sagt er. Vor drei Jahren ist er mit seinem Brot-Oliven-Krautsalat-Standel in die Meiselmarkt-Halle übersiedelt, weil der Landstraßer Markt abgerissen wurde. Jetzt muss er wieder umziehen - "ein Wahnsinn".
Die Meiselmarkt-Halle an der U3-Station Johnstraße wurde zuletzt Mitte der Neunziger renoviert und befindet sich im Besitz der Wiener Städtischen. Hauptmieter des ehemaligen Wasserbehälters ist das Marktamt, das die Standln an die einzelnen Unternehmer weitergibt. Der Markt befindet sich seit der Renovierung unter dem Straßenniveau, der teils zweistöckige, teils einstöckige Bau ist eine Art Einkaufszentrum mit Standln - oder ein Markt mit ein paar Schmuck-, Gewand- und Kosmetik-Geschäften.
Leere Schaufenster
Wobei der Shoppingmall-Teil offenbar ein noch härteres Pflaster ist als der Standl-Bereich. Richtig voll wird's höchstens im Fastfood-Restaurant beim Eingang, ringsherum stehen einige Geschäftslokale seit Jahren leer. Vor kurzem hat auch der Brötchenmacher Trzesniewski seinen Meiselmarkt-Ableger zugesperrt.
Allerdings nicht aus Kundenmangel, wie Geschäftsführerin Sabine Hager betont. "Die Franchisenehmerin hat sich aus persönlichen Gründen zurückgezogen." Zudem eröffne bald eine neue Filiale in der Nähe: Kurz vor Weihnachten zieht Trzesniewski am neuen Westbahnhof ein.
Auf jeden Fall am Meiselmarkt bleiben will Dogan Rizh. "Ist doch schön hier", sagt der türkische Fleischhauer und legt ein paar Hendlfilets in die Vitrine. Auch er muss mit seinem Standl bald für ein Jahr umsiedeln. "Ich weiß noch nicht genau, wie das werden wird", sagt er, "aber ich hoffe halt, dass es ein halbwegs guter Platz ist." Vor elf Jahren ist er mit seinem Geschäft vom Karmelitermarkt hierher gekommen. "Ich glaube, das war schon die richtige Entscheidung."
Ein Leben ohne Meiselmarkt will sich auch "Kraut-Elfi" Rauscher trotz Zusperrplänen nicht vorstellen. "Ich werde sicher weiterhin regelmäßig hier sein", sagt sie. In letzter Zeit habe sie auch einige Kooperationsangebote von Marktkollegen bekommen. "Wer weiß, vielleicht bleibe ich eh noch ein paar Jahre am Markt." (Martina Stemmer, DER STANDARD Printausgabe, 23.9.2010)