Die Vorstellung, wozu Computer in der Lage sein könnten, regte die Phantasie von Wissenschaftlern bereits in den Fünfzigerjahren an. Einer der Väter der Künstlichen Intelligenz (KI), Alan Turing, stellte in diesen frühen Jahren ein Testverfahren auf, das immer noch angewendet wird. Im Turing-Test kommuniziert eine Jury mit zwei Gesprächspartnern, die sie nicht sehen. Einer ist menschlich, der andere ein Computer. Der Test gilt als bestanden, wenn die Jury nach fünf Minuten den Menschen nicht von der Maschine unterscheiden kann. Bis heute ist es noch keinem Computer gelungen, diesen Test erfolgreich zu bestehen.

Starke und schwache Künstliche Intelligenz

Wie kaum ein anderer Forschungszweig verbindet die KI-Forschung unterschiedliche Wissenschaften wie beispielsweise Informatik, Neurologie, Mathematik, Kommunikations- und Sozialwissenschaft bis hin zur Psychologie oder Philosophie. Prof. Dr. Rainer Knauf vom Fachbereich Künstliche Intelligenz der Technischen Universität Ilmenau beschreibt die zwei grundsätzlich unterschiedlichen Ansätze der KI-Forschung. Zum einen „das Nachbilden menschlicher Intelligenz mittels Neuroinformatik". Hier wird versucht, den Maschinen Intelligenz nach menschlichem Vorbild zu implementieren - die so genannten „starke" KI. In der „schwachen" KI steht „das Modellieren intelligenten Verhaltens in vielen Fassetten" im Vordergrund. Hier geht es um problemorientierte Methoden und Strategien zur Wissensverarbeitung und Aufgabenbewältigung.

Erster Sieg der Maschine

1997 erlebte die KI-Forschung einen Höhepunkt, als der IBM-Rechner Deep Blue den damaligen Schachweltmeister Garry Kasparow besiegte. Nach diesem Erfolg konzentrierten sich die Forscher auf neue Aufgaben wie zum Beispiel den Roboterfußball. Fußball als Teamsportart fordert alle Bereiche: Strategie und Zieloptimierung, Interaktion und Teamfähigkeit und ein erhebliches Maß an mechanischer Beweglichkeit und Sensorik. Der RoboCup, die jährlich stattfindende Roboterweltmeisterschaft, beinhaltet nicht nur Fußball, sondern auch Wettbewerbe in den Bereichen Retten und Bergen oder Haushalt. Er ist zum wichtigsten Indikator für den Stand der Robotik-Forschung geworden.

Das Ziel ist, dass im Jahr 2050 ein Roboterteam gegen den Fußballweltmeister antritt. „Ich sehe nicht, dass zu dem Zeitpunkt ein Team von Menschen noch eine Chance hat gegen ein Team von Robotern", beschreibt Reinhard Karger, Leiter der Unternehmenskommunikation des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), den hohen Entwicklungsstand enthusiastisch. Das größte Problem wird sein, die Roboter mit ausreichend Energie für 90 Minuten zu versorgen: „Es wird auf präzise Regelspezifikationen ankommen, beispielsweise ob die Batterien während des Spiels getauscht werden dürfen und ob die Roboter WLAN - quasi Gedankenübertragung - verwenden dürfen", sagt Karger.

Ein Computer, der Kompromisse macht

Enthusiasmus ist auch die Grundlage der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften Innoc. Vor fünf Jahren gründete sich die Gesellschaft als Privatinitiative, „mit dem Ziel, junge Menschen für neue Technologien zu begeistern - wir wollen den Forschergeist wecken", sagt Roland Stelzer, Präsident von Innoc. Das Hauptprojekt der Gesellschaft ist das Roboat, ein autonomes und energieautarkes Vier-Meter-Segelboot, das inzwischen mehrere Weltmeisterschaften im Robotersegeln gewonnen hat.

Mit der Fuzzy Logic-Methode der KI-Forschung übersetzten Stelzer und sein Team die Grundregeln des Segelns in ein Referenzsystem für den Computer. Dabei kann es zu Regelüberschneidungen kommen, das heißt der Computer erhält Messwerte, auf die mehrere Regeln zutreffen. „Das Fuzzy-Logic-System ist so schlau, diese Regeln so zu vermischen, dass ein Kompromiss herauskommt. Das ist ja auch was der Mensch tut", sagt Stelzer. Derzeit arbeiten die Forscher daran, dass der Computer aus seinen Erfahrungen lernt. „Fuzzy Logic ist die Grundlage des Segelns, über neuronale Netze oder genetische Algorithmen wird das System weiterentwickelt", erklärt Stelzer. Der Computer soll sich in Zukunft nach einer kurzen Lernphase auf jedem Segelboot zurechtfinden.

Mit dieser Technologie könnten kleine, kostengünstige und energieautarke Systeme entstehen, die vollautomatisch über lange Zeit Forschungsmissionen auf dem Meer durchführen. Im Oktober startet die Innoc gemeinsam mit der Oregon State University und Schülern der HTL Spengergasse aus Wien ein zweijähriges Projekt zur Walforschung im Pazifik. Die erste professionelle Anwendung von Robotersegelbooten weltweit.

Künstliche Intelligenz für mehr Sicherheit

An automatischen Lernverfahren arbeitet auch das Projekt FIDES unter der Federführung des Technologie-Zentrums Informatik und Informationstechnik der Universität Bremen. Beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen AG läuft der Testbetrieb eines lernfähigen Erkennungssystems für Netzwerkangriffe. Die Angriffserkennung analysiert den Datenstrom des Netzwerkes und verwertet übertragbares Expertenwissen in Form von Ontologien. „Durch die verwendeten Lern- und Analyseverfahren werden auch mehrstufigen Angriffe erkannt, die eine strukturelle Ähnlichkeit zu erkannten und annotierten Mustern haben", erklärt der Projektleiter Otthein Herzog. Besondere Arbeit erfordere die Maschine-Mensch-Schnittstelle - die Zusammenarbeit zwischen System und Netzwerkadministratoren, „die als ,letzte Instanz‘ innerhalb von Sekunden Angriffe bewerten und empfohlene Gegenmaßnahmen ergreifen müssen", sagt Herzog. Auch die Netz- und Angriffsstrukturen, die sich ständig änderten, stellen die Projektpartner vor einige Herausforderungen.

Im Meer, im Flugzeug, im Auto - KI ist überall zuhause

Die Grundlagenforschung liefert wertvolle Erkenntnisse für die praktische Anwendung: „Es geht nicht um Fußball, es geht um Schwarmverhalten und Teamfähigkeit", sagt Reinhard Karger vom DFKI. Vor allem die Unterwasserrobotik sei eines der spannendsten Forschungsfelder. Der Mond sei besser erforscht als die Tiefen der Ozeane; Schwärme von autonomen Robotern, die gemeinsam Anlagen in der Tiefsee errichten, Bodenschätze finden und exploitieren oder sogar Lecks schließen, wären von unschätzbarem Wert. „Das ist anwendungsorientierte Grundlagenforschung", sagt Karger.

Diese Orientierung am Praktischen beschreibt auch Rainer Knauf von der TU Ilmenau: „Es gibt jede Menge Alltagsobjekte, in denen KI-Forschungsergebnisse stecken, ohne dass uns das bewusst ist". Der Autopilot im Flugzeug, das Notfallsystem der Tokioter U-Bahn oder Alltagsgegenstände wie Navigations- oder Fahrassistenzsystem zeugen von der zunehmenden Intelligenz der Maschinen. Solche Anwendungen verbessern schon heute die Lebensqualität eines jeden Einzelnen.

Forschung zwischen Algorithmus und Bewusstsein

Die Forschung an der Grenze zwischen Mensch und Maschine, zwischen Algorithmus und Bewusstsein ist mit vielen Vorurteilen und Science Fiction-Vorstellungen behaftet, die zu bewegten Diskussionen führen. Phantasien von ebenbürtiger menschlicher Intelligenz einer Maschine oder publikumswirksame Schachduelle oder Fußballmeisterschaften regen die Wissenschaftler an, alltägliche Anwendungen weiter zu entwickeln. So werden wir in Zukunft immer mehr mit scheinbar intelligenten Maschinen zu tun haben. Spätestens dann wird - wie heute im Datenschutzbereich - eine Diskussion über die Maschinenethik notwendig werden, um Umgangsregeln zu definieren. (Markus Drenckhan, derStandard.at, 26.9.2010)